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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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jedesmal umher und zeigte ihm dieses und jenes, bis er jedes Zeitgefühl verlor und begann, die Gärten als durchsichtigen Spitzentraum wahrzunehmen, den Wind aber als etwas Festes und die Sonne als golden glühendes Gas im Himmelseis. Wenn er dann, immer vor Sonnenuntergang, wieder zu seinen Freunden kam, wunderten die sich sehr über seine Geistesabwesenheit, seine Blässe und seinen leeren Blick. »Was ist los ... Schöner, was ist mit dir?« fragten sie beunruhigt, hatten sie doch stets das Gefühl, er blicke durch sie hindurch, wenn er sie ansah. Aber als sie herausfanden, daß er seine Nachmittage mit der Tier-Königin zugebracht hatte, musterten sie ihn insgeheim bedauernd, aber verständnislos, und sie raunten einander zu, er müsse wohl den Verstand verloren haben.
      So gingen Monate ins Land. Der Herbst mit seiner goldenen Pracht aus Reife und Verfall löste im ewigen Zyklus der Jahreszeiten den Sommer ab. Und im Winter, als die Bäume und Büsche kahl und schon mit funkelnden Eiskristallen bestäubt waren, traf sich Moere noch immer mit ihr im Park. Frierend, die Lippen vom Atem umwölkt und vom Rauhreif gesäumt, stand er dann neben ihr und lauschte ihren Worten und ihrer Stimme. Und er begann allmählich, zu seinem eigenen Erstaunen, selbst zu reden, und er erzählte ihr, die stets in samtenes Dunkel gehüllt war, vieles, was er sich selbst noch nie gesagt hatte.
      Dann hörte sie ihm ernst und aufmerksam zu, und er erhaschte dabei ab und an erneut einen Blick ihrer so klaren menschlichen Augen. Und er bat sie jedesmal, noch etwas länger ... bis nach Sonnenuntergang bei ihr bleiben zu dürfen - da er nicht verstand, warum sie ihn immer zuvor wegschickte. Aber das Tier bestand mit einem Nachdruck, der keine Widerrede duldete, darauf, daß er gehe, bevor die Sonne den Horizont berühre.
      Jetzt bedrängten ihn die, die er seine Freunde nannte, oft so mit ihren Fragen, daß er am liebsten auf und davon gelaufen wäre und sich in einem Mauseloch verkrochen hätte. »Moere, worüber redest du mit ihr? Und was treibst du denn mit ihr?« fragten Aysnera und ihresgleichen.
      »Nichts«, sagte er dann. »Nichts wirklich ...« Und weil ihm bewußt wurde, wie rätselhaft diese Antwort sogar für ihn war und daß sie ihren Argwohn nur schürte, fuhr er fort: »Oh, wir diskutieren ... über Philosophie, ja. Ihre, Ihre Majestät interessiert sich sehr dafür und hat in mir einen guten Gesprächspartner gefunden. «
      »Oh!« rief Aysnera darauf empört. »Wie kannst du bloß! Wie kannst du dich bloß mit dem ... Tier treffen?!« Da lief Moere zum erstenmal seit Monaten wieder knallrot an. »Du sollst sie nicht so nennen! Sie heißt Vinnaea, und sie ist unsere ... Königin.«
      »Höh!« spottete Aysnera. »Sie ist aber auch das Tier. Und was für eins! Du bist wohl schon blind für ihre äffische Häßlichkeit!« »Ich ... ich habe sie noch nie gesehen«, erwiderte Moere, und als er das sagte, wurde ihm plötzlich klar, wie seltsam es in der Tat war, daß er sich nie gefragt hatte, was außer diesen Augen unter der Kapuze sei. Er sah mit einemmal, als ob sich sein inneres Auge heimlich neu eingestellt habe, daß die ganze Sache wirklich sehr bizarr war. In all diesen Tagen ihres Zusammenseins hatte er sich nie überlegt, warum ... warum sie immer nur so ziellos im Garten umher-wanderten, warum sie niemals vor ihm ihren Umhang abnahm, um sich ihm zu zeigen, warum er nie bis nach Einbruch der Dunkelheit da bleiben durfte und warum sie, die als Königin doch anderes zu tun hatte, überhaupt soviel Zeit mit ihm verbrachte. Ich muß, dachte er, unter einem Bann gelebt haben, der mich alles doppelt sehen ließ. Selbst jetzt, wenn ich mich in dem eleganten, hell erleuchteten Raum umblicke und Aysnera in ihrem prächtigen, edelstein-besetzten Abendkleid betrachte, sehe ich - wie aufgrund einer Doppelbelichtung in meinem inneren Auge - alle Dinge halb durchscheinend, sehe ich Halbdunkel in diesem Lichterglanz ... Ja, er konnte durch Aysnera hindurch fast ungehindert den Wandschrank sehen, denn auch sie war nur halb Körper, halb Schatten und wurde zudem, je länger er sie ansah, immer körperloser, und wenn er sie noch einen Moment ansähe, würde sie vollends substanzlos ...
      Er blinzelte, um diese Vision fortzuwischen, denn er fühlte sich von einer Woge der Furcht überkommen - von etwas Großem, das sein Vorstellungsvermögen bei weitem überstieg. Dann verebbte es, und die Dinge stellten sich wieder

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