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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Dunkelheit verliere ich, wie du ja siehst, den letzten Rest meines menschlichen Aussehens, immer nach Einbruch der Dunkelheit.«
      Sie atmete schwer und rauh, suchte mit ihren feurigen Blicken in seinen gefrorenen, bloß aufnehmenden Augen nach einer Reaktion.
    »Es tut mir leid ...«, flüsterte er, »ich konnte nicht kommen ...«
      »Ja. Wie wahr, nicht zu mir. Das ist nur natürlich, lieber Moere. Es hätte mich überrascht, wenn es nicht geschehen wäre ...«, sagte sie und gab sich Mühe, ihrem Tiergesicht ein Lachen abzuringen. »Ich ...«
      »Sprich nicht weiter«, flüsterte sie und bleckte die langen Zähne zur schrecklichen Karikatur eines Lächelns. »Nun, o Schöner, was denkst du jetzt, wo du mich so siehst, wie ich bin ... mit meinem so entsetzlichen wie lächerlichen Gesicht und Leib? Und hab keine Angst, ehrlich zu antworten. Ich würde es merken, wenn du lügst, weißt du. Ich kenne dich ... zu gut. Ja, ich bin das Tier, mein liebster Schöner, und könnte dich, wie die Leute sagen, in Stücke reißen«, sprach sie in jetzt bissigem, spöttischem und eigenartig stolzem Ton und sah ihn abwartend an. »Nenne dich nie mehr so!« rief er, plötzlich hellwach und offen.
      »Weshalb nicht, mein Hübscher? Denn ich bin das Tier. Die Königin aller Tiere ...«
      Da würgte es ihn tief im Hals, daß er zu ersticken fürchtete, und das Blut hämmerte ihm im Kopf. Er sah sie wortlos an, blickte sie einfach an, so wie er sie ... früher immer angesehen hatte. »Also«, fragte das Tier, »was siehst du jetzt?« Moere begann zu weinen.  
      Tränen schossen ihm in die Augen, liefen ihm über die Wangen und gefroren zu Eiskristallen schärfer denn Stahlklingen, blauem Eis, das ihm die zarte Haut zerschnitt. »Ich weiß es nicht!« stammelte er immer wieder. »Ich sehe nichts! Ich sehe nicht...«
      Nein, er hatte noch nie etwas so gut in Worte fassen können wie sie!
      Aber als ihm der Kopf von dem aufwallenden Schmerz, den so lange unterdrückten Gefühlen zu platzen drohte, rief er: »Kannst du es mir denn nicht sagen? Weißt du, die du mich ja diese andere Sicht gelehrt hast, denn nicht, was ich sehe?« Dann hielt er keuchend inne, schluckte seine Tränen hinunter, und fuhr danach ruhiger fort:  
      »Du mußt es also hören, Vinnaea? Wenn ich dich jetzt anblicke, sehe ich nur, was ich immer sah. Nicht diese schwarze Mißgestalt, nein, nicht die triste Hülle aus Dunkelheit, die du dir aus irgendeinem Grund vor langer Zeit, lang vor deiner Geburt erwählt hast! Sie ist nur ein substanzloser Schatten, wie alles, was ich rings um mich erblicke ... Nein, du bist nicht das da, sondern ein Licht! Du, meine Königin, bist die strahlendste Lichtgestalt, die ich je erblickt, und ich sehe dich deutlicher als die Sonne oder diese armen Wesen in meiner Umgebung. Wenn ich sie lang genug ansehe, schwinden sie vor meinen Augen zum Nichts. Und sobald ich mir selbst vormache, ich sähe nichts, beginne auch ich, wie sie, zu verblassen ... Aber du nicht! Du bist das einzige Wesen, dessen Anblick mich blendet, und du bist die konkreteste Erscheinung dieser Welt.« Nun sah er das Tier zögernd an, fuhr dann aber entschlossen fort: »Ja, meine Gleißende, ich fürchte mich bis heute vor dir ... und werde mich wohl immer etwas vor dir fürchten. Denn du bist soviel strahlender als ich. Ich fühle, daß du mich fortbrennen könntest, und muß dennoch immer bei dir sein ...« Und er kam zu ihr ins Dunkel des samtenen, schwarzen Umhangs und schmiegte sich an sie, legte seine Arme fest und ohne Zaudern um ihren schwarzborstigen Leib, grub sein mit gefrorenen Tränen noch bedecktes Gesicht in ihre dunkle Halsbeuge und weinte, daß er am ganzen Körper zitterte.
      »So ist mein Leben nicht unnütz gewesen«, flüsterte das Tier und drückte ihn an sich. »Du, mein sanfter Schöner, du meine zweite Seelenhälfte ... Denn ich wurde ja nur als Tier geboren, um dir zu helfen, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind ... Und das hast du jetzt geschafft...«
      Da schluchzte er noch wilder, und seine bis dahin stets getrübte, verzerrte Sicht wurde plötzlich klar und scharf ... so daß er die Tier-Königin ganz und gar sah: taghell in der Mitte der Nacht und strahlender und schöner, als er gedacht hatte. Nun sah er bis in die fernsten Ecken ihres Reichs und erblickte alle Dinge, die da waren, sah sie wie von innen heraus, ganz als ob sie geschliffene Kristalle wären, aus deren glasigen Regenbogenkernen er

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