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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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einmal alte Ware neu verpackt. Lassen wir das. Tun wir so und sprechen wir so, als wären wir beide präsent, die Gegenwart wäre doch eine Zeitebene, auf der wir uns verständigen könnten. Aber da finden Sie als sokratischer Dialektiker wieder einen Einwand. Eine Gegenwart ist ja schon, kaum ist das Wort ausgesprochen, keine Gegenwart mehr. Ich glaube, es wird schwierig sein, mit Ihnen zu verkehren.
    Wie ich auf Ihren Namen gekommen bin?
Ich stieß beim Lesen der Schrift des Herrn Platon »Das Gastmahl« auf Sie. Sie waren es, der über die damaligen Vorgänge, nach unserer Zeitrechnung handelt es sich um das Jahr 416 vor, so anschaulich berichtete, Herr Platon schrieb es nachher auf. Sie gaben die dort gehaltene Rede des Lustspieldichters Aristophanes wieder, wir würden ihn heute Stückeschreiber nennen, aber besonders lebendig schilderten Sie, wie das Gastmahl zu Ende ging. Ich will es Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen.
Die meisten Gäste sind bereits betrunken, von draußen brechen wie zufällig neue herein, die Stimmen werden lauter und unartikulierter, dann wird es zeitweise still, als ob das Ende der Zecherei angebrochen wäre, plötzlich kommt neuer Lärm auf. Das Auf- und Abschwellen der Lautstärke geht noch lange, wie es am Ende solcher Gelage immer ist.
Einige aber sind in ein Gespräch vertieft. Abgesondert von der Mehrheit, erörtern sie ihre Probleme, stetig dabei trinkend. Das sind, wie Sie berichteten, der Tragödiendichter Agathon, der aus Anlaß seines Tragödien-Sieges geladen hatte, Aristophanes und der Philosoph Sokrates. Der Morgen bricht an, die Lerchen singen schon, die drei gießen sich aus einem großen Krug Wein ein, sie diskutieren, und sie stimmen darin überein, daß ein Dichter sowohl die Komödie als auch die Tragödie meistern soll. Sokrates hat sie dazu überredet, und Sie lassen offen, ob Aristophanes und Agathon dem trinkfesten Philosophen überhaupt noch folgen können. Zuerst sei dann Aristophanes eingeschlafen, danach Agathon. Sokrates überhaupt nicht, er brachte die beiden zur Ruhe, stand auf, ging ins Lyzeum, badete dort und legte sich erst gegen Abend hin. Sie wären ihm gefolgt.
Nun meine ich, einer, der so wie Sie an allem mit wachem Sinne teilhatte, wäre dazu berufen, mit mir über diesen Aristophanes zu diskutieren. Leider wissen wir heute trotz unserer Fähigkeit, uns theoretisch in andere Zeiten vor- oder zurückzuversetzen, sehr wenig über ihn. Man erzählt, er soll so um 445 vor geboren sein und nach 388 gestorben, wohl in Athen, er soll auch Land auf der Insel Aigina besessen haben, zeitweise in Athen Ratsherr gewesen sein, ein Sohn wurde Schauspieler. Welche Frauen er liebte, wie er lebte vor allem wovon, das ist unbekannt. Sein Leben liegt im Nebel. Dagegen lassen seine Ansichten, seine Meinungen, seine Entwürfe von Gegenwelten nichts an Deutlichkeit übrig.
Heute nennt man Literatur, die andere Welten entwirft, utopische Literatur, unter anderem, es gibt viele Namen dafür. Das Wort Utopia, das zwar aus dem Griechischen zusammengesetzt wurde, wird Ihnen unbekannt sein, es ist eine neulateinische Bildung und erst im Mittelalter aufgekommen. Herzlich Ihr Klaus Meier
Dionysien 423
    Lieber Freund Klausmeier,
es ist also doch nicht so einfach für Sie, sich zurückzuversetzen, denn nach Ihrer Zeitrechnung, wenn ich mich nicht täusche, befinde ich mich erst im Jahre 423. Da können Sie nicht von einem Gastmahl reden, das erst 416 stattfinden wird, und es kommt hinzu, daß mir sowohl ein Herr namens Platon als auch einer namens Agathon unbekannt ist. Immerhin freut es mich zu hören, daß es die besagten Menschen einmal geben wird. Und daß ich an einem Gastmahl mit meinem geliebten Lehrer Sokrates teilnehmen werde, auch zusammen mit diesem Aristophanes, der auf dreckige Weise meinen verehrten Sokrates in seinem Machwerk »Die Wolken« in den Schmutz gezogen hat.
    Ich war dabei, und ich muß Ihnen sagen, daß dieser Sokratesverleumder nun auch noch die Frechheit besaß, in diesem Sudelstück ethische, künstlerische – oder wie man sie auch nennen mag – Gebote zu verkünden, und das Widerwärtige erscheint mir dabei, daß eine ethische Verkündung Hand in Hand ging mit einer Verleumdung des Sokrates. Das kann ich nun am besten beurteilen. Sokrates hat nie etwas mit diesen hier überall ihr Unwesen treibenden Sophisten, diesen Wortumdrehern, im Sinne gehabt, sondern seine ganze Tätigkeit richtet sich ja eben gegen diese Leute, indem er sie zur Rede

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