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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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Er war Fatalist. Sie waren ihrer drei, und er reichte dem kleinsten von ihnen kaum bis zur Schulter. Er sagte also nichts. Statt dessen schickte er sie weg, ging selber in die Stadt und kehrte am Nachmittag mit ein paar billigen Möbelstücken zurück. Sie hatten ihn fünfzig Kronen gekostet, aber das waren sie wert. Er investierte immer in Möbel. Für eine möblierte Wohnung kann man guten Gewissens viel mehr nehmen als für eine unmöblierte, und er betrachtete einen Tisch oder einen Stuhl schon als vollwertige Möblierung. Übertreibungen mochte Harry nicht. Im Einklang mit dieser sehr gesunden Richtlinie hatte bald jeder Raum seinen Stuhl, sein Sofa oder Bett. Als letztes von allem trug er selber seinen Fund in die Sechstausendkronenwohnung hinauf, einen gewaltigen Spiegel unbestimmbarer Stilart. Er besaß einen gewissen Sinn für Berufsehre und meinte, dieser Preis erfordere etwas ganz Extravagantes. Gut oben angelangt, wuchtete er den Spiegel gegen eine Wand und sank stöhnend auf das Möbelstück dieses Zimmers, einen Stuhl. Sein einziger Zuschauer, die magere Katze, betrachtete ihn mit schlecht verhohlener Bosheit.
    »Du«, sagte Harry, »hast es verdammt gut, du brauchst dich nicht so abzurackern.« Er zündete sich eine dunkle Zigarre an und betrachtete den Spiegel. Er machte sich ganz gut auf seinem Platz. Der Rahmen war tief gelb, beinahe wie Gold, und in grotesken Mustern ziseliert. Das Glas war kristallklar. Niemand hatte je einen ähnlichen Spiegel gesehen, jedenfalls nicht in einem solchen Milieu. Eigentlich war er viel zu fein für Harrys Spekulationsbude. Keuchend erhob er sich, trat an den Spiegel heran, klopfte mit dem Nagel des Mittelfingers leicht gegen das Glas und strich über die Ziselierungen. Saubere Arbeit, daran gab es gar keinen Zweifel. Ein Ornament oder etwas, das einem Ornament glich, bog sich willig zur Seite, als er daran rührte. Er fluchte, wandte sich halb um – und blieb wie angewurzelt stehen und ließ das Kinn auf die Brust klappen, dieweil sein Spiegelbild langsam verschwamm.
    Eine ganze Weile verstrich lautlos, dann hob Harry seine Zigarre vom Fußboden auf, biß fest darauf und glotzte in den Spiegel. Aber wie er auch glotzte, es half nichts, sein Spiegelbild war offenbar nicht mehr da. Wenn es nach dem Spiegel ging, so existierte Harry auf dieser Welt überhaupt nicht. Er kniff sich in den Arm. Es half nichts. Er sah auf seine Füße hinab und stellte fest, daß es sie noch gab und daß daneben die Katze saß und beharrlich in den Spiegel schaute. Auch das Spiegelbild der Katze war nicht zu sehen, und diese Entdekkung war für Harry ein gewisser Trost.
    Er entschloß sich, die Situation nüchtern und sachlich zu betrachten. Der Spiegel zeigte das Zimmer minus Harry und Katze, davon abgesehen aber wirkte der Spiegelraum ungefähr so wie sonst. Wirkte. Als er genauer hinsah, fand er eine ganze Reihe Ungleichheiten heraus. Erstens war er sauberer. Die Tür saß nicht genau dort, wo sie hätte sein müssen. Und der Kachelofen hatte seine Luken wieder. Er schaute noch einmal hin. Nun war er sich nicht mehr sicher, ob das überhaupt ein Kachelofen war. Er drehte sich um und betrachtete mißtrauisch das Zimmer. Dieses aber war genau wie immer.
    Er schaute wieder in den Spiegel, und nun war der Raum, wie er eben gewesen war, das heißt ungewöhnlich. Er dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß etwas Zwielichtiges im Gange sei. Um diese Schlußfolgerung zu bekräftigen, versetzte er der Katze einen zerstreuten Fußtritt, wobei diese mit einem geschmeidigen Satz in den Spiegelraum hineinsprang. Während Harry dem Tier verblüfft hinterherstarrte, machte es einen Bogen um den eigenartigen Kachelofen, miaute böse und verschwand durch eine Tür. Harry sank entgeistert zu Boden. »Das«, sagte er, »ist Teufelswerk!«
    Wenn wir nun zu dem Schwindlerhaufen zurückkehren und uns Harry anschauen, wie er gerade jetzt aussieht, dann werden wir nach einem Blick auf die übermäßige Brieftaschenausbuchtung an seinem Jackett sofort sagen: Aha! Dieses Miststück hat er natürlich von einem Hehler gekauft, nun hat er’s weiterverschachert und ist bei dem Coup reich geworden; inzwischen aber ist wohl der Besitzer wutschnaubend bei ihm aufgetaucht und hat den Spiegel wiederhaben wollen?
    Weit gefehlt. Der Besitzer hat sich noch nicht blicken lassen, und es gibt viele – unter ihnen Harry –, die sich nichts Besseres wünschten, als ihm zu begegnen. Wutschnaubend oder auch nicht.

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