Liebe am Don
was in seiner Macht steht.«
Großväterchen Volkow biß in Bodmars Wurstbrot, und er hatte einen guten, weiten Biß, kaute genußvoll und betrachtete dann Njuscha in ihrem blauen Rock und der roten Bluse. Ihr blondes Haar floß über die Schultern wie ein goldener Wasserfall, in dem sich die Sonne badet.
»Auch für dich habe ich etwas, Töchterchen. Vor drei Monaten war ich krank. Jetzt geht's zu Ende, dachte ich. Leb wohl, schöne Welt. Ich keuchte und hustete, spuckte und röchelte, schrecklich war's, die Kinder verkrochen sich in die Ecken, als wäre ich die Pest selbst. Da brachten sie mich ins Krankenhaus Nr. 1. Ein herrliches Haus, Töchterchen. Neu wie alles hier, mit den modernsten Errungenschaften unserer Wissenschaft. Betten, die man 'rauf- und 'runterkurbeln kann. Wenn einer keucht, bekommt er mit einem Schlauch frische Luft aus der Wand! Und Ärzte, sage ich dir. Einmal standen vierunddreißig um mein Bett, ich hab sie gezählt, vor lauter weißen Kitteln sah man die übrige Welt nicht mehr, und alle starrten mich an, nickten mir zu, und der Professor, ein vornehmer Mensch, fragte mich: ›Na, Großväterchen, wie geht es Ihnen?‹ Und ich habe ebenso vornehm geantwortet: ›Gut, Genosse Professor. Nur einen Propfen habe ich im Hintern … wenn ich auf der Pfanne hocke, kommt außer einem Donnern nichts.‹ Da haben die vierunddreißig weißen Kittel gelacht, ich habe ein Klistier bekommen … und eine Woche später war ich gesund und zu Hause. Was das für eine Krankheit war … ich weiß es nicht. Aber es sind große Wissenschaftler im Krankenhaus Nr. 1.«
Iwan Feodorowitsch aß das letzte Stück von Njuschas Brot und holte neuen Tee vom Samowar. Als er wieder saß, fuhr er mit seinen Plänen fort.
»Dabei lernte ich die Krankenpflegerin Melanie Polowna kennen, ein dickes Weib mit Brüsten wie Gewitterwolken. Wenn sie mir das Bett machte und sich über mich beugte, betete ich immer, ihr Halter möge nicht reißen. Erschlagen worden wäre ich, bei Gott. Also, ich sage zu Melanie Polowna: ›Malaschka, du bist ein Weib fürs Paradies.‹ Das gefiel ihr, und sie antwortete: ›Na, na, Alterchen! Schon wieder munter?‹ Und wie ich munter war, Genossen! In den Wochen erzählt man so vieles hin und her, und so erfuhr ich, daß sie knapp sind mit Personal im Krankenhaus. Ärzte, ja die haben sie genug, aber was sonst so noch herumläuft, da fehlt's. Darum dachte ich gestern nacht … Töchterchen, ich schreibe für dich auch ein Briefchen an Malaschka, und der Teufel lasse jeden Morgen ihren Halter reißen, wenn sie keine Arbeit für dich findet –«
Es war, wie gesagt, ein schöner Morgen voller Wärme und Sonne. Nicht nur draußen auf den Straßen, Plätzen, Parks und an der Wolga, sondern auch in den Herzen Bodmars und Njuschas. Sie küßten Großväterchen auf die glatten Wangen, umarmten ihn, sahen ihm zu, wie er seine Briefe schrieb, langsam, mit dicken Buchstaben, wie ein Wortemaler in Japan, und dann verließen sie die Wohnung, um mit Hilfe der Volkows diese Stadt zu erobern und ihr eigenes Leben aufzubauen.
Iwan Feodorowitsch blickte ihnen vom Balkon, versteckt hinter der im Wind flatternden Wäsche, nach. Er rieb sich die Hände und war außer sich vor Freude.
Wenn es klappt, dachte er, und es wird klappen, verdienen sie genug, um uns Volkows einen Wagen zu bezahlen. Ein Auto, ein kleines nur, aber man wird herumfahren können wie die Herren, die Nachbarn werden vor Neid die Bleichsucht bekommen, ans Meer wird man reisen können, vornehm auf eigenen vier Rädern … und alles nur, weil man ein Menschenfreund ist. Der Himmel belohnt gerecht … da muß man im stillen anders denken als Lenin.
Iwan Feodorowitsch lehnte sich an die Balkonwand und blickte in den blauen, wolkenlosen Himmel. Er bekam vor Glück keine Luft mehr.
*
Auf dem Friedhof Nr. 2, südlicher Teil, war es gar nicht so einfach, den Totengräber Borja Ferapontowitsch Aljexin zu finden. »Nicht bei der Verwaltung fragen!« hatte Großvater Volkow noch einmal an der Wohnungstür gesagt. »Es gibt gewisse Dinge die macht man unter sich aus. Wenn erst die Beamten sich um dich kümmern, Sascha, bist du verloren. Du kannst Borja gar nicht verfehlen … er ist immer da, wo offene Gräber sind.«
Aber offene Gräber gab es genug im südlichen Teil des Friedhofs Nr. 2, als Bodmar suchend durch die Grabreihen wanderte. Ein paar Männer arbeiteten in ihnen, warfen die Erde mit breiten Schaufeln aus den Löchern und schwitzten dabei,
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