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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß sie aussahen, als hätten sie gerade gebadet. Bodmar wollte auch sie nicht fragen, um keinen Verdacht zu erregen, und so ging er von Grab zu Grab, schritt die Front der Gedenksteine ab, eine Parade der Toten, die sich mit Namen, Geburtstag und Sterbetag meldeten, eine Armee verloschener Leben.
    Endlich fand er einen Mann, der so aussah, wie ihn Großvater Volkow beschrieben hatte. Er saß im Schatten einer Hecke auf einer Kiste, trank Limonade, aß weiches, weißes Brot, las dabei in der Wolgograd-Prawda und schabte sich mit dem linken Stiefel die rechte Wade. Er war ein alter Mann mit einer weißen Mähne, dürr, wie ausgetrocknet, ein Gerippe, überzogen mit einer ledernen Haut und großen braunen Altersflecken auf den Handrücken und Unterarmen. Bodmar blieb stehen und räusperte sich. Borja Ferapontowitsch las ungerührt weiter.
    »Auskünfte in der Verwaltung Zimmer 19!« sagte er, als der Schatten vor seiner Zeitung sich nicht bewegte. »Gräberzuteilung Zimmer 24. Von 8 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr. Totenbescheinigung ist mitzubringen. Besser aber ist Verbrennen. Sauberer, hygienischer, man kann den lieben Toten immer wieder in die Hand nehmen und ihn schütteln. Auskunft Krematorium, Zimmer 5.«
    Das alles leierte er herunter, ohne über seine Zeitung hinwegzublicken. Dann mummelte er wieder an seinem weichen Brot, rollte den Bissen im zahnlosen Mund hin und her, bis er so breiig war, daß er ihn hinunterschlucken konnte. Erst dann, als der fremde Mensch noch immer schweigend vor ihm stand, legte er die Zeitung weg und starrte Bodmar aus grauen, sehr lebendigen Augen fragend an.
    »Sie sind ein hartnäckiger Mensch, Genosse«, stellte er fest. »Reden Sie nicht, ich weiß, was Sie wollen. Eine schöne Lage, ein Grab mit guter Aussicht und bester Nachbarschaft. Wohl soll er sich fühlen, der liebe tote Mensch.« Borja wedelte mit der Hand durch die heiße, etwas süßlich riechende Luft. Es war der Geruch, der über jedem Friedhof liegt wie eine unsichtbare Wolke: verwelkende, faulende Blumen, frische Erde, die atmenden Hecken und Pflanzungen.
    »So etwas gibt es nicht!« sagte Borja tadelnd. »Ein besonderes Grab! Wir leben in einer klassenlosen Gesellschaft, Genosse. Eine Ehre ist es schon, in Rußlands Erde begraben zu werden! Da hilft auch kein Geld, selbst wenn es dreißig Rubel sein sollten …«
    An dieser Stelle kam Borja immer zu einem Abschluß mit den Interessenten. Man suchte dann gemeinsam eine schöne Stelle aus, Borja klopfte einen Pflock in die Erde, sah auf dem Friedhofsplan die Grabnummer nach, besuchte in der Friedhofsverwaltung den Genossen Menschikow, einen dicken Mann, der drei uneheliche Kinder zu versorgen hatte, was ihm große Mühe bereitete, legte ihm zehn Rubel auf den Tisch und sagte: »Nummer 317, Block V, ist ab morgen belegt.« Der drei Kinder wegen gab es nie Rückfragen oder gar Schwierigkeiten.
    Aber heute geschah gar nichts. Der Mann vor ihm zog nicht seine Börse und zählte dreißig Rubel ab, sondern er griff in die Tasche und reichte ihm einen Brief. Mißtrauisch nahm Borja den Brief mit spitzen Fingern und drehte ihn erst ein paarmal in den Händen.
    »Wer sind Sie, Genosse?« fragte er.
    »Sascha –«, sagte Bodmar.
    »Aha soso … Sascha. Und das hier?« Borja hob den Brief hoch.
    »Lesen Sie ihn, Borja Ferapontowitsch.«
    »Sie kennen mich?«
    »Nur aus Erzählungen. Man hat mir gesagt, Sie seien der beste Totengräber von Wolgograd.«
    Bodmar sah, daß diese Meinung dem Alten gut tat … Borja schluckte sie hinunter wie süßen Wein. Umständlich riß er das Kuvert auf, las die Zeilen des Großväterchens Volkow und steckte den Brief dann in die Hosentasche.
    »Iwan Feodorowitsch –«, sagte er sinnend. »Säuft er noch immer so?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn erst knapp vierundzwanzig Stunden.«
    »Er soff wie ein Sieb. Wir lagen zusammen den Deutschen gegenüber im Stahlwerk ›Roter Oktober‹. War das eine Zeit! Die Hölle war ein Sesselchen dagegen. Und Volkow, das wußten wir schnell, konnte am besten schießen, wenn er besoffen war. Dann war er mutig wie ein Bär und schoß die Deutschen ab wie Hasen. Bis es keinen Wodka mehr gab … da haben wir ja auch die Schlacht um das Stahlwerk verloren.« Borja hieb sich auf die Schenkel und betrachtete Bodmar von oben bis unten. Es war eine Musterung, die mit Zufriedenheit endete. »Du bist kräftig, jung und hast ein helles Auge … ein Kosak, was? Wenn du vom Don kommst –«
    »Ja, Väterchen.«

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