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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gleich anfangen Brüderchen? Morgen wird es neun Begräbnisse geben, eines davon mit Musik und Fahnen. Ein Major der Roten Armee. Lungenentzündung beim Manöver. Liegt dort in Box 9.« Borja deutete hinüber zu dem langgestreckten, flachen Bau des Leichenhauses, einem herrlichen Neubau, dessen Eingang weiße Säulen zierten. »Heute nacht habe ich bei ihm geschlafen. Hinter dem großen Ehrenkranz aus Rosen und Lilien. Sascha … ich rieche Rosen so gern –«
    Bodmar nickte stumm. Er zog seine Jacke aus, rollte die Ärmel seines Hemdes hoch und stieg in die noch flache Grube. Dann tat er den ersten Hieb mit der Spitzhacke, riß den Boden Wolgograds auf und wühlte sich in die Tiefe.
    Sein neues Leben hatte begonnen. Totengräber in Stalingrad. Für zwei Rubel am Tag.
    Der Vater hatte den Boden dieser Stadt umgepflügt mit Minen und Granaten … der Sohn zerpflügte die Erde mit einer Hacke.
    Wer sagt da noch, das Schicksal habe keinen Humor?
    *
    Melanie Polowna empfing Njuscha im Sprechzimmer für Besucher der Kranken. Sie war wirklich eine ungewöhnlich dicke Frau, und man verstand den alten Volkow, der um sein Leben gefürchtet hatte, wenn sie sich über ihn beugte. Auch sie las den Brief nach anfänglichem Zögern und betrachtete Njuscha mit dem verhangenen Blick, mit dem Frauen Geschlechtsgenossinnen mustern, die schöner sind als sie selbst.
    »Vom Don kommst du?« fragte Melanie Polowna. »Ein Bauernmädchen?«
    »Eine Kosakentochter, Schwesterchen.«
    »Aber arm wie eine Laus auf einer Glatze.«
    »Ja, Malascha.«
    »Und gelernt hast du Kühe melken, Pferde reiten, Ställe misten, Fische fangen, Heu schneiden, Korn dreschen … lauter Dinge, die man hier nicht braucht.« Sie hob beide Arme und legte sie über ihre mächtigen Brüste. Es sah aus, als lehne sie sich über einen Balkon. »Was soll ich mit dir tun? Laß mich überlegen. Wieviel willst du verdienen?«
    »Genug, um ein Zimmerchen zu bezahlen, um zu essen und zu heiraten.«
    »Gedanken haben diese Mädchen, Gedanken! Kommen daher aus der Steppe, wo sie nichts haben als den Wind, der ihnen unter die Röcke weht, und glauben, in der Stadt sei das Paradies. Und heiraten wollen sie sofort. Oh, ist das eine Zeit! Nie hätten wir den Krieg gewonnen, wenn wir damals auch so gewesen wären!«
    Njuscha unterbrach sie nicht; erst als Melanie Polowna Luft holte und die Arme von ihren Brüsten nahm, sagte sie leise: »Ich weiß, Sie werden mir helfen, Malascha … Sie haben ein gutes Herz.«
    Das ist nun ein Satz, bei dem ein Mensch schwer nein sagen kann. Ein gutes Herz, o Freunde, wir haben es alle, und auch Melanie spürte es pochen, als sie Njuscha noch einmal ansah und sich sagte: Ein halbes Kind ist sie ja noch. Ein unfertiges Menschlein. Blond wie der Sommerweizen und blauäugig wie das Kaspische Meer um die Mittagszeit. Bei Gott, man muß ihr helfen.
    »Komm mit«, sagte sie deshalb, blickte auf die Stationsuhr und rechnete sich aus, daß die Kranken eine Viertelstunde ohne sie auskommen konnten. »Es gibt Arbeit für dich.« Sie ging Njuscha voraus zum Fahrstuhl, ließ ihn herunterkommen, schob Njuscha in die Kabine und drückte auf den Knopf Keller II. Während sie lautlos hinabschwebten, fragte Melanie Polowna: »Hast du Angst?«
    »Ich weiß es nicht. Wenn über Perjekopsskaja ein Gewitter zog und die Blitze zuckten, dann blieb mir manchmal das Herz stehen, Malascha.«
    »Ein Gewitter! Hast du Angst vor Toten?«
    »Vor Toten? Nein. Sie sind die friedlichsten Menschen.«
    »Ekelst du dich?«
    »Ich glaube nicht. Wenn man Jauchegruben ausschöpfen kann …«
    »Das ist etwas anderes.« Der Fahrstuhl hielt. Keller II lag zwei Stockwerke unter der Erde, mit kalten, kahlen Betonmauern und einer Luft aus Moder und Verwesung. Njuscha drückte das Kinn an, ihr Herz hämmerte, und das Blut jagte durch ihre Schläfen. Melanie Polowna verließ mit dröhnenden Schritten die Kabine. »Es gibt Menschen, die stehen mit bloßen Beinen in der Scheiße, aber wenn sie Eiter riechen, fallen sie um wie Pappschilder im Wind. Kannst du Eiter riechen?«
    »Ich weiß es nicht, Malascha –«
    Sie gingen einen halbdunklen, langen Gang entlang bis zu einer Eisentür, auf der mit roter Farbe ›Eintritt verboten‹ stand. Melanie Polowna stieß sie auf. Ein Hauch von eisiger Kälte wehte ihnen entgegen. Vor ihnen lag ein großer Raum, gekachelt und blitzsauber, hinter zwei Schlitzen an der Decke sogen Ventilatoren die Gerüche ab. An den Wänden stand, auf hohen, fahrbaren

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