Liebe am Don
Bodmar nickte. »Aber ein armer Kosak. Ein Hund hat mehr als ich. Der jüngste Sohn des Dorfärmsten bin ich.«
»Ich nehme dich.« Aljexin hielt Bodmar die Limonadenflasche hin, der nahm sie und trank einen Schluck. Damit war ein Vertrag besiegelt. »Allerdings ist die Sache nicht einfach«, sagte Borja, rückte auf seiner Kiste zur Seite und machte Bodmar Platz. Bodmar setzte sich und blickte über die Grabreihen. Welch ein makabrer Witz des Schicksals, dachte er kurz. Nach Rußland bin ich gekommen, um den Spuren meines hier gefallenen Vaters nachzugehen … und Tote werde ich jetzt begraben, vielleicht in derselben Erde, unter der auch mein Vater liegt.
»Ich stelle dich als meinen persönlichen Gehilfen an«, sagte Borja Ferapontowitsch. »Eine regelrechte Anstellung, die müßte über die Verwaltung gehen. Das ist ein langer Weg, und man wird verhört wie ein Verbrecher. Warum bist du weg aus deinem Ort, warum hast du dort keine Arbeit bekommen, was sagt dein Dorfsowjet dazu, zeig deine Abmeldung … und du stehst da wie ein Mann mit vollgepißten Stiefeln. Stelle ich dich aber ein, so ist das meine Privatsache. Nur der Lohn, Sascha, der Lohn!« Borja legte den Arm um Bodmar, dachte an den Brief des alten Volkow und hatte Vertrauen zu dem armseligen Kosaken. »Ich bekomme zweihundert Rubel im Monat. Das ist für einen alten Mann genug, – wenn man bedenkt, daß es immer Interessenten gibt, die für ihren Toten ein besonderes Grab haben wollen, daß ich wenig esse und keine Miete bezahle …«
»Wieso bezahlst du keine Miete?« fragte Bodmar.
»Weil ich kein Zimmer habe, ganz einfach.«
»Und wo schläfst du?«
»Im Leichenhaus.« Borja winkte ab, als Bodmar weiterfragen wollte. »Ein herrliches Plätzchen, sage ich dir. Es gibt kein schöneres. Im Sommer ist es kühl, im Winter rollt man sich in eine Decke. Meistens liege ich neben den Särgen, hinter den Blumen. Keinen stört es, keiner sieht es, nachts gibt es keine Besuche, und an die Toten gewöhnt man sich. Sie sind die besten Kameraden, Freundchen. Sie liegen da in ihren Särgen, in weißen Hemden oder schlechten Uniformen, je nachdem, was sie einmal im Leben waren, und man kann ihnen alles sagen, man kann schnarchen, seinen Wodka bei ihnen trinken, es macht ihnen nichts aus, sie beschimpfen einen nicht, sie liegen nur da, bleich und schön zurechtgemacht, schöner, als sie im Leben waren … und oft habe ich mir gesagt: Borja Ferapontowitsch, warum haben die Menschen Angst vor den Toten? Warum schaudern sie vor ihnen zurück, warum weinen sie und benehmen sich wie die Irren am Grab? Da schreien sie, rufen den Namen, raufen sich die Haare, schwanken herum wie Betrunkene und heulen über ihr Leid, und der Tote liegt da und ist ganz zufrieden, daß nun alles zu Ende ist.« Borja erhob sich, und auch Bodmar sprang von der Kiste auf. »Ich kann dir pro Tag zwei Rubel geben, mehr nicht. Bei Abschlüssen mit Interessenten von Sonderwünschen fünfundzwanzig Prozent. Sieh mich nicht zweifelnd an, Sascha … es sterben in Wolgograd monatlich ungefähr achthundert Menschen … das ist 0,1 Prozent, sehr wenig, sage ich. Denn geboren werden über tausend im Monat, und eines Tages wird das Land zu klein sein, um uns allen einen Fleck zu Schlafen zu geben. Selbst neben den Särgen in der Leichenhalle wird dann alles besetzt sein. Aber von diesen achthundert Hinterbliebenen haben mindestens fünfzig den Wunsch nach einem sonnigen Plätzchen für den lieben Toten, von diesen fünfzig kommen fünfzehn in den südlichen Teil zu uns … wenn du rechnen kannst, Sascha, es wird ein gutes Sümmchen. Außerdem muß zehn Rubel Menschikow bekommen.«
»Wer ist Menschikow?«
»Der Beamte für die Grabzuteilung im südlichen Block. Ein fetter Bock mit drei unehelichen Kindern. Ich habe die Befürchtung, er erhöht auf fünfzehn Rubel, wenn das vierte kommt. O Teufel, er hurt wie ein Karnickel! Aber man muß mit ihm auskommen. Ohne ihn sind wir arme Würmer, die sich durch die Erde wühlen.« Sie gingen zusammen zu einem Grab, das halb fertig war. Dort lagen auch die Werkzeuge Borjas … eine Hacke, Schaufeln, Spaten und ein paar Bretter zum Befestigen des Grabrandes. »Die anderen Genossen von der Totengräberbrigade werde ich unterrichten, überlaß das mir. Hier auf dem Friedhof Nr. 2, südlicher Teil, wird getan, was Borja Ferapontowitsch will!« Er zeigte auf das halb ausgeschaufelte Grab, bückte sich und drückte Bodmar die Hacke in die Hand. »Wie ist's? Wollen wir
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