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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weiß man das noch nicht. Ich nehme Sie am Sonntag mit, Genosse, zu einem Vortrag über die außenpolitische Lage –«
    »Woran denkst du?« fragte Njuscha jetzt. Bodmar schrak zusammen und drehte den Kopf zu ihr. Ihre Augen strahlten ihn an. Blaue, große Sterne.
    »An Deutschland –«, sagte er ehrlich.
    »Das ist gut.« Sie kroch näher an ihn und küßte sein Kinn. »Das ist gut, Sascha …«
    »Warum ist das gut?«
    »Ich denke an Perjekopsskaja … an Väterchen, an Mütterchen an Balwan, an den Kirschgarten, an den Don, an die Pferdeherden … Sascha … bist du mir böse?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich … ich habe Heimweh, Sascha …«
    Sie legte den Kopf auf seine Brust, umklammerte ihn plötzlich wie eine Ertrinkende und weinte leise. Er spürte ihre Tränen auf seiner Haut, und das unbezwingbare Gefühl der Verlassenheit überkam auch ihn.
    »Wir werden morgen diese Stadt erobern«, sagte er leise und streichelte ihren zuckenden Kopf. Er löste den Knoten ihrer blonden Haare, warf die langen Strähnen über sich und atmete den Duft ein, der aus ihnen strömte. Der Geruch der Steppe, wenn nach dem Regen die Sonne über der satten Erde brennt. »Wir werden unser neues Leben erobern … oder ich will verdammt sein … verdammt und verflucht –«

Z WANZIGSTES K APITEL
    Am Morgen war die Wohnung leer.
    Arkadij Mironowitsch Volkow war schon lange am Wolga-Ufer und planierte mit seiner Gärtnereibrigade neue Gartenanlagen. Die Volkowa hockte auf einem Schemel vor einer Federnpresse und stanzte winzige Stahlfedern im Stahlkombinat ›Dsershinskij‹, Fedja lernte in der Schule, und die beiden jüngeren Kinder spielten im Kindergarten der Jungkomsomolzen. Der einzige, der noch in der Wohnung herumlief, war Großväterchen Iwan Feodorowitsch. Er hustete heftig, bewachte den Samowar und beschmierte zwei Brote mit Butter und Streichwurst, als Bodmar und Njuscha aus ihrer Kammer krochen.
    »Ein schöner Tag!« rief er sofort, eilte auf Njuscha zu und umarmte sie. »Eine Sonne wie im Sommer! Paßt auf, dieses Jahr wird es früh heiß, und wir werden alle in der Wolga stehen wie die Kühe im Tümpel und uns abkühlen.« Er klopfte Bodmar auf den Rücken, lehnte sich an die Tür zur Küche, wo das einzige Waschbecken hing und wo sich die ganze Familie wusch, beobachtete, wie sich Bodmar rasierte und bestaunte das lederne Rasieretui.
    »Das kommt ja aus dem Westen!« sagte Großväterchen verblüfft. »Brüderchen, hast du's geklaut?«
    Bodmar erschrak.
    »Nein!« sagte er schnell. »Ein Durchreisender ließ es in Perjekopsskaja zurück. Mir gefiel's so gut, und da hat er es mir geschenkt.«
    »Ein Glückspilz ist er, sag ich es nicht, ein von den Engeln Geküßter. Kommt nach Wolgograd, bekommt sofort ein Zimmerchen, und hat Rasierzeug aus dem Westen.« Iwan Feodorowitsch strich sich über sein Kinn. Es knirschte unter seinen Händen, und das tut es immer, wenn man sich vier Tage nicht rasiert hat. »Wenn du ein guter Freund bist, Sascha, läßt du mich probieren«, sagte er, als der reibende Laut bei Bodmar keine Reaktion auslöste.
    »Natürlich darfst du das, Väterchen.« Bodmar schielte zu Njuscha. Sie hatte nur den Rock und ein Hemdchen an und wartete auf das Freiwerden des Waschbeckens. Bei den Volkows war das kein Problem … da standen sie am Morgen in einer Reihe neben dem Wasserhahn, jeder hielt seinen Lappen hin, ließ ihn naß werden und schrubbte sich das Gesicht. Auch die sogenannte gründliche Wäsche spielte sich ohne spießbürgerliche Scham ab. Volkow und Mutter Volkowa reinigten sich vom Kopf bis Fuß im Beisein der Kinder und von Großväterchen. Die natürlichste Sache der Welt war das … warum soll man einen menschlichen Körper verstecken?
    Vorsicht, sagte sich Bodmar und blinzelte Njuscha zu, die ihn sofort verstand. Daran habe ich nicht gedacht. Alles, was in meinem Gepäck ist, stammt ja aus Deutschland. Der Rasierapparat, die Klingen, die Seife und die Handtücher, die Unterwäsche, Hemden, Krawatten, Schuhe, Hosen und Jacken, die Fotoausrüstung, der Mantel … alles war aus dem Westen und verriet ihn bei jedem, der sehen und logisch denken konnte. Es gab nur eine Möglichkeit: das Gepäck vom Bahnhof abzuholen und irgendwo draußen in der Steppe vor der Stadt, zu vergraben und auch äußerlich völlig ein russischer Arbeiter zu werden. Mit einem Anzug, in dem sich keine Bügelfalte hält, mit einer zerknautschten Tellermütze, einem einfachen Baumwollhemd, groben Schuhen und

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