Liebe am Don
4. Bei Arkadij Iwanowitsch Volkow.«
»Ich danke Ihnen, Genossinnen«, sagte Rossoskij milde und höflich wie ein Kavalier. »Ihre Aussagen waren sehr wichtig.«
»Und die fünfhundert Rubel?« rief Melanie Polowna.
»Dazu reicht es nicht.« Rossoskij lächelte säuerlich. »Oder wissen Sie, wo die beiden sich jetzt verbergen?«
»Bei den Volkows.«
»Das wäre zu naiv. Das Vaterland dankt Ihnen.«
Er verließ das Krankenhaus unter den tötenden Blicken der drei Weiber. »Betrogen hat man uns!« schrie Glawira. »So machen sie es mit uns Werktätigen! Dazu reicht es nicht!« Sie grunzte, spuckte aus und ahmte den Gang Rossoskijs nach. »Wie ein Hahn, haha! Wie ein Pfau! Ich gönne ihm, daß er Njuscha nie findet –«
Von allen Seiten liefen jetzt die Meldungen im Büro Rossoskijs zusammen. Während er noch auf der Fahrt zur Wohnung der Volkows war, erfuhr er durch das im Auto eingebaute Funkgerät, daß Eberhard Bodmar auf dem Friedhof Nr. 2 gearbeitet hatte … zuerst als Totengräber, dann, in den letzten Tagen, als Wärter und Hinterbliebenenbetreuer, in einer neuen, schönen, grünen Uniform mit blanker Schirmmütze.
»Man soll es nicht für möglich halten!« schrie Rossoskij, als diese Nachricht des Friedhofsinspektors an sein Ohr klang. »Die beste Bürokratie der Welt haben wir … und so etwas kann noch passieren! Verhaftet den Inspektor –«
Bei den Volkows herrschte großes Durcheinander. Die Volkowa war nach der Feststellung, daß ihre Untermieter verschwunden waren, nicht zur Arbeit gefahren, sondern saß in der Küche und heulte laut. Auch die Kinder waren weder zur Schule noch in den Kindergarten gegangen, sondern umringten die Mutter und weinten im Chor. Arkadij Volkow befand sich schon auf dem Wege nach Hause … zwei Milizsoldaten empfingen ihn unten im Hausflur und brachten ihn hinauf in seine Wohnung. Dort hatte Rossoskij alles, was Bodmar und Njuscha zurückgelassen hatten, auf einen Haufen mitten ins Zimmer zusammentragen lassen.
»Sie haben einen Deutschen versteckt!« schrie Rossoskij den zitternden Volkow an. »Einen Mörder! Einen Spion! Aus Geldgier haben Sie ihn aufgenommen! Einen Mann ohne Papiere! Ohne Namen.«
»Sascha hieß er –«, stammelte Volkow. Er stierte seine Frau an die auf dem Küchenstuhl hockte, die Kinder an sich drückte und leise vor sich hinklagte wie eine kalmückische Witwe.
»Sascha!« brüllte Rossoskij. »Ist das ein Name? Besaß er einen gültigen russischen Paß?«
»Wir haben uns nie darüber unterhalten.« Volkow rang die Hände. In seinem Darm rumorte die Angst. »Großväterchen war so vertrauensselig, er machte alles allein, er war das Oberhaupt der Familie. Sie wissen ja, Genosse, wie Großväter sein können.«
»Her mit dem Alten!« befahl Rossoskij.
»Er liegt in einem schönen Grab. Ganz plötzlich starb er, lag morgens einfach im Bett und atmete nicht mehr. Wir konnten es gar nicht begreifen, Genosse –«
»Mitnehmen!« Rossoskij gab dem kleinen Berg aus Njuschas und Bodmars Sachen einen Tritt und verließ die Wohnung. Hinter ihm schrie die Volkowa auf, klammerte sich an ihren Mann und brüllte: »Er hat nichts getan! Er ist ein guter Mensch! Arkadij, sag ihnen doch, daß du ein Aktivist bist, dreimal ausgezeichnet, Vorsitzender der Gärtnergenossenschaft. Arkadij –«
Die Milizsoldaten nahmen Volkow in ihre Mitte und schleiften ihn aus dem Zimmer. Die brüllenden Kinder begleiteten sie. Im Hausflur und auf den Treppen stauten sich die Bewohner des Hauses. Stumm starrten sie auf den gebrochenen Volkow, den man die Treppe hinunterstieß wie einen störrischen Ziegenbock. Vor dem Haus drängte man ihn in einen Wagen und fuhr mit ihm davon. Die Volkowa beobachtete es oben vom Balkon aus, hängte sich über die Brüstung und schrie ihm gellend nach. Zwei Nachbarn hielten sie fest, damit sie nicht auf die Straße sprang; wie von Sinnen war sie, rannte durch die Wohnung, zerriß und zerstörte alles, was an den alten Iwan Feodorowitsch erinnerte, und sank dann erschöpft auf das Sofa.
»Er war es«, stammelte sie. »Der alte stinkende Teufel. Diese leere Nuß! Rubel, Rubel Rubel … nur daran dachte er. Und an die Weiber, in seinem Alter. Verflucht sei er! Freunde, was kann ich tun, um Arkadijs Unschuld zu beweisen?«
Das war schwer zu beantworten, denn Rossoskij befand sich in einer schwungvollen Laune des Aufräumens. Er verhaftete sogar den Direktor des Friedhofs, obwohl dieser von gar nichts wußte, aber gerade das war es, was
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