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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zigarette, ein Geruch, der den ästhetischen Sinn Rossoskijs beleidigte. »So war es, Genosse … er ging mit dem Täubchen davon, winkte mir aus der Ferne noch zu und weg war er. Ich frage Sie: Ist das eine Arbeitsmoral? Benimmt sich so ein Werktätiger? Aber so ist diese neue Jugend, ich sag es Ihnen … keine Pflichten im Kopf, aber immer neben der Hose stehen. Wo soll das hinführen, he?«
    »Und sonst wissen Sie nichts von Sascha?«
    »Nein. Er war ein schweigsamer Mensch.«
    »Und Sie haben ihn nicht sofort auf dem Bild in der Zeitung erkannt?«
    »Auf welchem Bild? Ich hole mir die Zeitung erst zum Mittagessen.«
    Rossoskij hielt Borja die beiden Fotos entgegen. Borja nickte und tippte auf Bodmars Bild.
    »Das ist Sascha. Ganz gewiß. Und das Weibchen ist Njuscha.« Er beugte sich vor und rieb sich die Hände. »Da steht's ja, da steht's ja … Njuscha. Und Sascha …« Er fuhr zurück und starrte Rossoskij entsetzt an. Eine große Leistung war das … ein Charakterschauspieler war an Borja verlorengegangen. »Ein Deutscher?« stammelte er. »Ein deutscher Spion? Sascha? Aber was soll das denn? Was will er denn hier auf dem Friedhof? Seit wann interessieren sich die Kapitalisten dafür, wie viele Menschen in Wolgograd täglich sterben?«
    Rossoskij faltete die Zeitung zusammen und wandte sich grußlos ab. Mit weit ausgreifenden Schritten ging er zur Verwaltung. Eine Viertelstunde später fuhr die Kolonne des KGB zurück zum Hauptquartier. Den Friedhofsinspektor und den Direktor nahm Rossoskij gleich mit. Einen Schuldigen zu haben, ist immer gut … die Welt will Opfer sehen.
    Borja wartete eine halbe Stunde, dann bummelte er in den alten Teil des Friedhofs, kehrte die Blätter von der schweren Grabplatte der Familie Shukendskij und hob sie ein paar Zentimeter hoch.
    »Es ist vorbei –«, sagte er. Unten an der Eisentreppe lehnten Bodmar und Njuscha. Wie auferstandene Leichen sahen sie aus. »Sie werden nicht wiederkommen. Wir können in großer Ruhe über alles nachdenken.«
    »Sie suchen nicht weiter?« rief Bodmar aus der Gruft. Seine Stimme klang hohl und wie angefault.
    »Nein. Ich habe sie verjagt.«
    »Du? Womit denn?«
    »Man muß nur ein Idiot sein.« Borja lächelte breit und wissend. »Nur einem Idioten glaubt die Welt alles –«

V IERUNDDREISSIGSTES K APITEL
    Fünf Tage hatte Bodmar Zeit – dann würde die neue deutsche Reisegruppe in Wolgograd eintreffen.
    Fünf Tage, in denen er sich einen Bart wachsen ließ und sein Gesicht damit völlig veränderte. Fünf Nächte, in denen er mit Njuscha zwischen den Marmorsärgen lag, auf den morschen Matratzen, den Kopf auf den Seidenkissen, die man einmal einem reichen Toten untergeschoben hatte, damit er auch noch im Grabe das Angenehme des Reichtums genoß. Es waren einsame, ängstliche, unendlich lange Tage und Nächte. Oft saßen sie im Schein einer der schwachen Öllämpchen unter dem Luftschacht und lauschten mit angehaltenem Atem, was draußen vorging. Sie hörten Stimmen, Schritte, knirschenden Kies, Klappern, Zurufe, das Poltern eines Wagens, das schabende Geräusch eines Besens, und sie wußten: Wir leben! Wir sind noch nicht in einer anderen Welt. Wir leben in einem Grab für die Zukunft.
    Dreimal täglich lüftete Borja die Grabplatte, warf Brot und Wurst hinunter und schon am ersten Tag einen Eimer. »Es geht nicht anders«, sagte er. »Wenn euch ein Bedürfnis überfällt … ihr könnt nicht an die Oberfläche kommen. Ein Eimer muß genügen. Es ist jetzt keine Zeit, sich zu schämen.« Am Abend wenn der Friedhof geschlossen war, stiegen Njuscha und Bodmar aus der Gruft, breiteten die Arme weit aus und atmeten die köstliche, saubere Luft, stellten sich in den Wind, der von der Steppe über die Wolga wehte, und waren minutenlang damit beschäftigt, den Moder, der auf ihren Lungen lag, wegzukeuchen. Dann aßen sie, was Borja gekocht hatte, oder Bodmar gab ihm drei Rubel, und der Alte rannte fort und brachte mild gesalzenes Fleisch und ein Fläschchen Wodka, für Njuscha einen süßen Orangenlikör und im schwimmenden Fett gebackene Kringel.
    »Ich würde euch raten, nach Sibirien zu gehen«, sagte Borja am vierten Tag. Er zupfte Bodmar an den dicken Bartstoppeln, kaute ein Stück mageren Specks und trank seine abendlichen hundert Gramm Schnaps. »In Sibirien fragt niemand, woher ihr kommt. Da fühlen sie nur deine Muskeln und drücken dir eine Säge in die Hand. ›Geh in den Wald –‹, sagen sie zu dir. ›Fäll Bäume, soviel du kannst.

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