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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem scharfen Spaten in die Grasnarbe. »Immer verteufeln sie einem das Leben! Immer sind sie des Satans Pferdefuß! Ein Unglück, sag ich immer. Man braucht sie nur einmal anzufassen, und sie kleben an einem wie Honig. Nun? Wie soll's weitergehen? Warum lauft ihr nicht zum Untersuchungsrichter und sagt ihm die Wahrheit?«
    »Wer würde uns glauben? Haben wir Zeugen?«
    »Es ist eine total verfahrene Sache, das stimmt.« Borja warf den Spaten weg. Mit zuckendem Mund sah er Bodmar an. »Warum bist du bloß ein Deutscher, Sascha?« sagte er mit plötzlich zitternder Greisenstimme. »Ich könnte darüber weinen. Da habe ich nun endlich ein Söhnchen, das ich liebe, das mir ans Herz gewachsen ist wie mein eigen Fleisch und Blut, und was entdeckt man: Er ist ein Deutscher! Wie soll ich das jemals verdauen?«
    »Bin ich plötzlich ein anderer Mensch, nur weil ich kein Russe bin? Habe ich die Nase jetzt auf dem Rücken und den Hintern unterm Kinn? Was ist anders an mir, Borja?« Bodmar breitete die Arme aus und stellte sich auf wie ein Ochse, den man verkaufen will. Borja betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen.
    »Ein Deutscher –«, sagte er langsam. »Wenn man mir 1942 gesagt hätte, ich würde jemals einen Deutschen umarmen und ihm einen Kuß geben, dem hätte ich das Fell über die Ohren gezogen wie einem Karnickel. Und jetzt hat mein altes Herz eine letzte große Freude, ich habe ein Söhnchen gefunden und freue mich jeden Morgen, wenn er zu mir kommt und sagt: ›Guten Morgen, Väterchen. Da bin ich wieder.‹ Jeden Abend denke ich an diesen kommenden Morgen, und ich leg mich hin und sage leise: ›Lieber Gott, du weißt, ich glaube nicht an dich, aber ich bitte dich, beschütze mir meinen Sascha!‹ Und was kommt dabei heraus? Er ist ein Deutscher! Hast du schon mal gesehen, daß der Wind nach rechts weht, aber der Hut fliegt dir nach links?«
    »Nein, Väterchen.«
    »Genauso ist mir.« Borja verzog das Gesicht. Die Anrede Väterchen fegte sein leidendes Gehirn frei. Plötzlich wußte er, wie er zu handeln hatte. »Kommt mit! Die nächsten Tage werden dunkel sein. Zum Glück vergessen die Menschen schneller, als ein Pferd einen Hafersack leer frißt –«
    Hinter Borja her gingen sie über den Friedhof und gelangten in den alten Teil, den der Krieg damals umgepflügt hatte und wo die Gerippe durch die Luft gewirbelt waren wie am Jüngsten Tag. Hier war jetzt alles neu angelegt worden, sauber und übersichtlich, Gräber wie aufmarschierte Soldaten. Borja ging bis zur Mauer und blieb dort vor einer großen steinernen Bodenplatte stehen. Scharniere verrieten, daß man sie umklappen konnte. In den Stein war eine Schrift gemeißelt, die Eis und Sonne, Steppenwind und Regen ausradiert hatten und die keiner mehr entziffern konnte.
    »Hier war einmal die Gruft der Familie Shukendskij. Ich kenne noch das Grabmal … wie ein Tempelchen war's. Millionäre waren die Shukendskijs, stolz und dumm. Ihr Tempelchen bliesen die deutschen Granaten weg, aber die Grabkammer gibt es noch. Sogar drei Särge aus Marmor stehen noch darin.« Borja bückte sich, zog einen Ring aus Eisen aus der Platte und hob sie hoch. Es war ein so raffinierter Mechanismus, der die schwere Steindecke mühelos bewegen ließ, daß Borja keinerlei Kraft brauchte, die Gruft zu öffnen. Muffige Luft schlug ihnen entgegen, eine Eisenleiter führte auf den Grund des ausgemauerten Grabes. Im schräg einfallenden Licht schimmerte der erste der schweren Marmorsärge. »Ein Luftschacht führt an der Mauer hoch«, sagte Borja und begann in die Gruft hinunterzusteigen. »Ein gemütliches Plätzchen, sage ich euch. Früher, in den heißen Sommernächten, habe ich oft hier geschlafen. Nicht auszuhalten war's in der alten Leichenhalle. Aber jetzt haben sie Klimaanlagen und eine ständige gute Temperatur. Die Wohnung ist frei, Söhnchen …« Er winkte hinauf. »Los. Kommt 'runter! In einer halben Stunde wird die Polizei hier sein.«
    Langsam stiegen Njuscha und Bodmar in das Grab. Zuerst Bodmar, dem Njuscha die Tasche nachwarf, dann sie selbst, und sie zuckten zusammen, als Borja den Deckel schloß und sie in völliger Dunkelheit gefangen waren.
    »Was soll das, Borjuschka?« schrie Bodmar. Er schob Njuscha hinter sich und ballte die Fäuste. Waren sie in eine Falle geraten? Brachte Borja sie jetzt um? »Mach Licht oder stoße den Deckel wieder hoch, verdammt sollst du sein!«
    Zwischen den Marmorsärgen blitzte Borjas Feuerzeug auf. Er tappte zur hinteren Mauer und

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