Liebe auf den ersten Biss
er zur Tür stürzen und Luft ins Zimmer wedeln musste. Er war wahrhaft faulig und verwest. Schlimmer als er gedacht hatte. Er sah sich um, ob die Tapete von den Wänden fiel.
Das reichte. Er war doch kein kleiner Junge, der sich bei einem Freund im Keller verstecken musste! Er war – wie hatte Abby sich ausgedrückt? – ein Gesalbter, ein Prinz der Nacht. Er würde hier rausspazieren, vorbei an der Familie, und wenn er sie ausschalten musste, dann musste es eben so sein. Das wäre Jody eine Lehre, ihn einfach im Stich zu lassen und ihr Handy abzustellen. Bist du jetzt zufrieden, mein Rotkehlchen? ]a? Massakrierte, zerstückelte Familie? Na? Hast du ein paar Cent ge spart?
Er trampelte die Treppe hinauf ins Wohnzimmer von Jareds Eltern.
»Hi«, sagte Jareds Vater.
Jareds Beschreibung nach hatte Tommy ein Monstrum erwartet. Stattdessen saß dort ein Buchhaltertyp. Der Mann war etwa fünfunddreißig Jahre alt, ganz gut in Form, mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß, das ein Bild von einem Pony ausmalte. Ein zweites kleines Mädchen, offenbar im selben Alter, saß am Boden zu seinen Füßen und malte.
»Hi«, sagte Tommy.
»Du bist sicher Flood, der Vampir«, sagte Jareds Dad und lächelte wissend.
»Äh. Na ja. So ungefähr.« Sie sahen es ihm an. Er konnte sich nicht mehr verstecken. Wahrscheinlich lag es daran, dass er so lange nichts zu sich genommen hatte.
»Das Kostüm ist aber eher schwach, oder?«, sagte Jareds Dad.
»Schwach«, wiederholte das kleine Mädchen, ohne von seinem Pony aufzublicken.
»Hä?«, meinte Tommy.
»Für einen Vampir. Jeans, Turnschuhe und Flanellhemd?«
Tommy sah an sich herab. »Schwarze Jeans«, betonte er. Sollte dieser Typ nicht vor Angst in der Ecke kauern und Tommy anflehen, seine kleine Tochter nicht in einen Sack zu stecken, um sie an seine Vampirbräute zu verfüttern?
»Na gut. Ich denke, die Zeiten ändern sich. Du weißt, dass Jared und seine Freundin rüber ins Tulley's an der Market Street gegangen sind, um sich mit Abby zu treffen, oder?«
»Seine Freundin Jody?«
»Genau«, sagte Dad. »Süßes Mädchen. Nicht so viele Piercings, wie ich erwartet hatte, aber vor allem sind wir froh, dass sie ein Mädchen ist.«
Eine adrette Blondine von Ende zwanzig kam herein, mit einem Tablett voll Karotten- und Selleriesticks in den Händen. »Oh, hi!«, sagte sie und strahlte Tommy an. »Du musst Flood, der Vampir, sein. Hi, ich bin Emily. Möchtest du etwas Rohkost mit Dip? Du kannst gern zum Essen bleiben. Es gibt Käsemakkaroni. Die Mädchen durften sich heute was aussuchen.«
Ich sollte ihr Blut trinken und die Kinder in einen Sack stopfen, dachte Tommy. Doch das Raubtier in ihm war seinen Manieren aus dem Mittleren Westen nicht gewachsen, also sagte er: »Vielen Dank, Emily, aber ich sollte lieber gehen, wenn ich Jared und Jody nicht verpassen will.«
»Na, dann …«, sagte die Frau. »Kinder, sagt Flood, dem Vampir auf Wiedersehen!«
»Flood, dem Vampir, auf Wiedersehen!«, riefen die Mädchen im Chor.
»Ja, bis – äh – bald mal.« Tommy rannte aus dem Zimmer, dann wieder hinein. »Wo geht's hier raus?«
Alle zeigten zur Küche, aus der Jareds Mutter eben gekommen war.
Er lief durch die Küche und zur Haustür hinaus, dann stand er in der Auffahrt, lehnte sich an den Minivan und versuchte, zu Atem zu kommen. »Das war knapp«, keuchte er, dann merkte er, dass er gar nicht aus Erschöpfung so keuchte. Er hatte eine astreine Angstattacke. »Mann, war das knapp!«
-28-
Mauerblümchen der Nacht
Es war fast so, als wenn man seinen ganzen Mut zusammennahm, um ein Mädchen zum Tanzen aufzufordern, wobei das Problem in diesem Fall nicht so sehr darin bestand, dass man sich vielleicht einen Korb einhandeln oder sich plump und peinlich benehmen könnte – obwohl auch das ein Faktor sein mochte. Das Problem war, dass die Auserwählte zu Staub zerfallen würde – was ja wohl um einiges einschneidender war, als jemandem nur auf die Zehen zu treten.
Tommy stand auf der Castro Street und suchte sein nächstes Opfer. Im Grunde sein erstes Opfer. Er hatte genug davon, immer der Lehrling zu sein. Wenn Jody ihn einfach im Keller sitzen ließ, weil er ihr nicht Vampir genug war, dann musste er ihr vielleicht ähnlicher werden. Vielleicht lernte er so sein Raubtierwesen besser kennen, von dem sie immer sprach. Vielleicht musste er genau wie dieser Typ, der beim Phantom der Oper im Keller saß, »Die Musik der Nacht« hören. Er war nicht sicher, was aus
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