Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
Geschichten über unsere damalige Beziehung erzählte: Immer wenn er nach Hause kam, nahm ei mich in den Arm. Immer bevor er nach Hause kam, freute ich mich darauf. Jedes Mal, wenn er mich dann in den Arm nahm, fühlte ich mich unwohl. Zu Beginn war einfach nur ein kleines »schade...«
nach einer solchen Umarmung in mir. Später wurde ich richtig angespannt, schließlich sogar wütend. Bis ich mich eines Tages abrupt aus seinen Armen löste und ihn anbrüllte: »Kannst du mich nicht einmal nur richtig h den Arm nehmen? « Mein Mann guckte mich vollkommen verdattert an: »Aber ich nehme dich doch in den Arm.« Ja, er nahm mich in den Arm. Aber gleichzeitig passierte etwas ganz anderes zwischen uns.
Damals kam es zu einem heftigen Krach, und wir warfen uns alles Mögliche ungezügelt an den Kampf. In diesem Streit hatte sich so viel entladen, dass uns später mit Abstand und Ruhe ganz neue Erkenntnisse und eine neue Annäherung möglich wurden. Uns wurde klar, dass ich mich nach Kraft, nach Schutz, nach etwas Größerem, nach den Armen eines starken Mannes sehnte. Dass aus meinem Mann aber bei jeder Umarmung sofort alle männliche Kraft entwich wie die Luft aus einem Luftballon. Mein Mann, der um einiges größer ist als ich, zog jedes Mal automatisch den Kopf ein. Er machte sich so klein, dass er schließlich in meinen Armen lag. Keiner von uns hatte in dieser täglichen Umarmung etwas zu geben. Jeder von uns war stattdessen auf der Suche nach Zuwendung. Mit jedem neuen Versuch der Begegnung wuchsen die Frustration und die innere Distanz. Zwischen
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uns entstand ein immer leerer werdender Sog, ein« ständig wachsende Bedürftigkeit. Zärtlichkeit existierte ZU dieser Zeit in unserer Ehe nicht als Kraft, sondern lediglich als Bedürfnis.
Mittlerweile machen wir Witze übers Kopfeinziehen. Nach vielen schmerzlichen Begegnungen können wir heute darüber lachen, dass mein Mann sich bei mir immer klein und zärtlich einkuscheln wollte wie in den Schoß der Mutter. Dass ich mich endlich einmal fallen lassen wollte wie an die starke Brust vom Vater.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich plädiere hier nicht dagegen, sich fallen zu lassen, auch nicht gegen das Kuscheln. Zärtlichkeit ist für jede Beziehung ein Lebenselixier. Aber sie ist etwas, das aus echter Nähe und der emotionalen Fülle zwischen zwei erwachsenen Partnern in die Beziehung fließt.
Immer wieder schildern mir vor allem Frauen, dass ihnen nach einer Reihe von Ehejahren ihre Partnerschaft wie eine seelisch und körperlich ausgedörrte Gefühlswüste vorkommt. Auch ich kannte dieses Phänomen nur allzu gut. Nachdem wir einst während unserer ersten Treffen schon hinter der Haustür oder im Fahrstuhl wild küssend übereinander hergefallen waren, empfand ich diese leeren Umarmungen später wie Mogelpackungen. Genauso gab es im Laufe der Zeit auch immer häufiger routinierte, kraftlose »Ich liebe dichs«. Als mir die Floskelhaftigkeit unserer Sätze eines Tages bewusst wurde, hörten sie sich an wie Heraufbeschwörungen alter Zeiten. Nach dem Motto »Man muss etwas nur oft genug wiederholen«, erinnerte ich mich während dieser Durststrecken unserer Ehe stets sehnsüchtig an eine
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seitens Szene der ersten Monate unserer Begegnung: Wir saßen damals beide im Auto, gestanden uns unsere Liebe und weinten, weil wir uns für eine Woche voneinander verabschieden mussten.
Im Laufe unserer Ehe war es alles andere als leicht für uns zu erkennen und zu akzeptieren, dass in jedem noch so innigen »ich liebe dich« eine unserer alten Geschichten steckte, die nach Zuwendung und Heilung verlangte. Dass in jedem »Ich lebe dich«
die tiefe Hoffnung nach mehr Liebe in uns selbst lag. Dass wir mit jedem »Ich liebe dich« herausgefordert waren, über unsere emotionalen Defizite hinauszuwachsen und damit liebesfähiger zu werden.
Wenn wir heiraten, wollen wir heilen
Vielleicht gucken Sie auch gerne kitschige Hollywood-Filme mit Happy End. Vielleicht haben Sie auf ein Navigationssystem für den Weg zur einzig wahren, großen Liebe gehofft, als Sie dieses Buch aufschlugen. Vielleicht finden Sie das alles fürchterlich ernüchternd und unromtisch, wenn ich jedes »Ich liebe dich« so seziere wie ein Pathologe lebloses Gewebe. Vielleicht fühlen Sie sich resigniert, wenn Sie sich vorstellen, dass such Sie unter Ihrem kleinen bewussten liebenden Selbst so einen Eisberg voller Kampfund Angst mit sich herumschleppen. Vielleicht denken Sie aber auch: Was für eine
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