Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
wieder ähnliche Handlungsstränge, und die Schauspieler spielen ähnliche Rollen.
Denn wir sind die Drehbuchautoren und die Regisseure unseres Films, aber das haben wir meistens vergessen.
Wenn Sie mit diesem Phänomen bewusst in Ihrem Alltag umgehen, werden Sie es auf einmal überall entdecken. Ich habe eine Freundin, die egal, wen sie kennen lernt, immer erst mal skeptisch ist, ob dieser Mensch inkompetent oder vielleicht nicht integer ist. Vor allen fürchtet sie überall, dass jemand schlecht über sie reden oder zu viel über sie erfahren könnte. Mit einer anderen Freundin war ich einmal verreist. Wir wollten uns ein paar Tage entspannen. Kaum waren wir in unserem Hotelzimmer angekommen, trennte sich unsere Wahrnehmung: Ich stand auf den Balkon und genoss die herrliche Luft und den Ausblick. Irre Gedanken kreisten darum, dass dieses Zimmer wahrscheinlich abends sehr laut sein könnte, weil es in der Nähe der Gastronomie lag. Wir zogen um. Später gingen wir in die Sauna. Nach einem langen Spaziergang durch die Winterkälte hatte ich es mir gerade in der Hitze gemütlich gemacht, als se nach wenigen Minuten die Sauna verließ. Später erklärte sie mir, sie hätte den Ein102
druck gehabt, es sei drinnen sehr unhygienisch gewesen. Ob ich denn nicht den unangenehmen Geruch der Frau neben mir bemerkt hätte?
Und ob ich denn nicht die wenig ansehnlichen Füße des Herrn über uns gesehen hätte? Hatte ich nicht.
Wir sehen nicht die Welt, wie sie ist - wir sehen unsere Vorstellung von der Welt. Tief im Rumpf unseres Eisbergs, in unserem inneren Vorführraum, laufen auf dem Filmprojektor noch immer unsere alten, traurigen Geschichten auf einer Endlosspule. Aber wir haben diesen inneren Vorführraum schon seit Ewigkeiten nicht mehr betreten, haben meistens sogar vergessen, dass er überhaupt existiert.
Da gibt es aber dieses kleine Loch, genau wie im Kino in der Wand hinter uns. Aus diesem winzigen Loch strahlt der Film herauf in die Spitze unseres Eisbergs auf eine riesige Leinwand, mit Dolby-Surround und 3-D-Technik. Unser Kino ist so perfekt, dass wir gar nicht merken, dass es nur ein Film ist. Die Geschichte hält uns so im Bann, dass wir kaum dazu kommen, vom Popcorn zu naschen.
So erlebte Christina immer wieder aufs Neue - wenn auch völlig unbewusst - die Geschichten ihrer eigenen Kindheit. So rannte sie von einem Hilfseinsatz zum nächstes. So gab es - genau wie früher immer jemanden - vor allem die kleinen und großen Männer in ihrer Familie -, der Pflege, Hilfe und Zuwendung brauchte. Am Ende eines Tages war sie meistens so erschöpft von der Beschäftigung mit den anderen, dass sie nicht mal in der Lage war zu merken, wie es ihr selbst ging. Jeder der Notfälle ihres Tagwerkes schien ihr wirklich, die wachsende Hilflosigkeit und Bedürftigkeit der 103
Männer tatsächlich nur durch ihre Hilfe zu lindem zu sein.
Wenn ich dann mit meiner Frage nach ihrem Befinden das kleine Loch in der Vorführraum erwischte, dann konnten sie ihre Tränen für einen Moment aus dem 3-D-Film herausführen, dorthin wo dis eigentliche Drehbuch geschrieben wurde. Dann konnte sie einmal wirklich bei sich ankommen und ihre eigene Geschichte entdecken, ihre eigene Bedürftigkeit fühlen - und sie konnte Stück um Stück endlich verstehen, warum sie so wütend auf ihren Mann war...
Gerade wenn es vorne auf der Leinwand ganz spannend wird, wenn es scheint, dass die beiden im Film sich doch nicht kriegen, rennt unser Ehepartner durch das Bild. Und ehe wir uns versehen, wirft unser Projektor das Bild des Bösewichtes auf ihn; hat er auch schon die Hauptrolle in unserem Film der unverarbeiteten, unendlichen Geschichte.
So ist es auch in der Geschichte von Christina. Sie kann ihren Mann schon lange nicht mehr sehen, wie er wirklich ist. Denn eines Tages Bt auch er mitten durchs Bild gerannt. Seitdem spielt er die Hauptrolle in Christinas altem Film. Christina beklagt, er kümmere sich um nichts und merke nie, was sie wirklich brauche. Und das, obwohl er nach ihrem Bekunden vom ersten Moment an einer der einfühlsamsten, verständnisvollsten Menschen gewesen sei, den sie je kennen gelernt habe. Im Leben von Christina gab es einen jüngeren Bruder, der völlig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Liebe der Mutter stand. Er schien stets schwächer zu sein als seine größere Schwester, und so wurde er immer bemuttert und verwöhnt.
Die große Schwester war mit der Zeit im Schatten ihres 104
Bruders völlig ausgehungert
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