Liebe die bleibt
wenn es mir besser geht. Wenn der Schmerz soweit verblasst ist, dass ich mich über Geschenke freuen kann. Wann das sein wird, weiß ich natürlich noch nicht. Vielleicht werde ich es auch nie öffnen … wer weiß.
Als die Trauerfeier beendet war, begann für mich ein neues Leben. Ein Leben , was von Gram und Hoffnungslosigkeit geprägt war. Ich verkroch mich in meiner Wohnung, vergrub mich in Arbeit. Schluckte Medikamente, sogenannte Stimmungsaufheller. Sie halfen mir, den Tag zu überbrücken, aber sie halfen mir nicht, die Nacht durchzustehen. Die Nächte waren furchtbar. Nachts überfiel mich die Panik. Sie kam als Schlaflosigkeit, und sie kam als Schweißausbruch. Manchmal kam sie als Atemnot, als Zittern am ganzen Leib. Sie kam als Zucken in den Beinen, als Brechreiz, als Durchfall, als Starre. Dann sagte ich zu mir: Der Schweißausbruch geht vorbei, du musst dich nur beruhigen, die Atemnot ist nur Hysterie, du hast kein Asthma. Das Zucken kommt von zu wenig Schlaf, der Brechreiz von den bösen Gedanken, die mir auf den Magen schlagen. Lange Zeit war ich unfähig geworden, das Gewohnte weiterzuleben. Ich konnte plötzlich keine Bücher mehr lesen, keine Musik mehr hören, wollte mit keinem Menschen mehr reden, stattdessen redete ich mit mir selbst. Legte mir ein zweites Ich zu, das mir befahl, jeden Morgen aufzustehen, mich zu waschen, anzuziehen, zu essen, das mich an meine Medikamente erinnerte, und manchmal musste ich ganz still sein und meiner inneren Stimme zuhören, die mir etwas über die Vergänglichkeit des Seins einbläute:
Vorbei ist vorbei. Es zählt, was kommt und wie es weitergeht. Also schaue nach vorn, Leila. Klammere dich nicht an die Erinnerungen, lass’ sie los, damit neue entstehen.
A lles ist vergänglich. ALLES! Nichts ist von Bestand, alles ist im Fluss. So wie die materiellen Dinge vergehen, schwinden auch deine trüben Gedanken. Auch sie haben keinen Ewigkeitsstatus. Da alles um dich herum fließt und sich unaufhörlich verändert, kannst du nur die Gegenwart genießen, wenn du von der Vergangenheit loslässt. Du kannst nichts festhalten. Auch deine Gedanken nicht, weil sie dich krank machen. Verdeutliche dir, dass du dich in einem Prozess zwischen Entstehen und Vergehen befindest. Du musst wieder gesund werden, Leila!
Diese innere Stimme tat mir gut, sie richtete mich wieder auf, sie gab mir Mut und Hoffnung, häppchenweise, so dass ich den Appetit nicht verlor.
Ein Jahr später, ging es mir tatsächlich besser. Es war wieder Weihnachtszeit. Während andere Leute sich auf diese Zeit freuten, Geschenke einkauften, ihre Häuser und Wohnungen schmückten, machte ich mir Gedanken, wie ich die Weihnachtszeit umschiffen konnte. Ab Ende November hortete ich Lebensmittel, so dass ich nicht mehr Einkaufen gehen musste, mir der Anblick von allem Weihnachtlichen erspart blieb. Meine Wohnung war natürlich auch nicht geschmückt. Ich verbannte alles, was auch nur annährend an diese Zeit erinnern könnte. Wenn ich spazieren ging, ignorierte ich die geschmückten Tannenbäume, wenn ich Radio hörte, wechselte ich den Sender, sobald ich die ersten Klänge eines Weihnachtsliedes erahnte. Fernsehen gewöhnte ich mir ganz ab, da war Weihnachten allgegenwärtig.
Ich verkrümelte mich in meine vier Wände, las wieder Bücher, sah mir Filme auf DVD an und kümmerte mich um meine Arbeit. Ich arbeite freiberuflich als Journalistin für eine Frauenzeitschrift, daneben mache ich manchmal PR-Arbeiten für eine Versicherungsgesellschaft, zum Beispiel wenn Broschüren erstellt werden, in die Finanzwirtschaft kindgerecht dargestellt wird. Leute, die vom Journalismus wenig Schimmer haben, denken sich manchmal, man sei als rasender Reporter ständig auf der heißen Spur der Reichen, Mächtigen und Schönen. Ich kann meine Arbeit dagegen oft von zu Hause aus erledigen. Eine Freiheit, die ich sehr zu schätzen weiß, aber einem Menschen auch eine gewisse innere Unruhe verleiht, die mich bei magerer Auftragslage aber in schlimme Grübelei versetzten kann. Zum Glück im Unglück hatte meine Redaktion mich zuletzt an einen längeren Auftrag gesetzt, es war sogar ein ungewöhnlich hohes Honorar vereinbart, sodass ich mir erstmal keine Sorgen machen musste, als mir meine Chefin etwas Ruhe verordnete, sobald sie vom Tod meiner Eltern erfahren hatte. Allerdings sollte das noch eine böse Wendung nehmen, denn wirtschaftliche Sicherheit, das ist ja für Leute, die „was mit Medien machen“ eigentlich
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