Liebe die bleibt
angestrengt überlege, ob das alte Weiblein noch ganz bei Sinnen ist.
„Na dann schießen Sie mal los…“, ermuntert sie mich , zwinkert mir zu und tippt mich wieder mit dem Knauf ihres Gehstockes an.
Einen Wimpernschlag später schreite ich schweren Herzens zur Tat. Ich spähe durch den Sucher meines Objektivs, fixiere Braut und Bräutigam und rufe ihnen aufmunternd zu: „Bitte lächeln!“
Dann schieße ich drauf los. Eins – zwei – drei … fünfmal hintereinander drücke ich ab, bis ich glaube, dass es fürs Erste reicht. Ja, es reicht, es ist zu viel… viel zu viel, um mir Gewissheit zu verschaffen, dass nun alles vorbei ist. Ich habe das Beweismaterial nun Pixel für Pixel in meiner Digitalkamera dokumentiert. Schwarzweißfotos werde ich mir davon machen, Bilder, die keine Zweifel dulden.
„L eila, könnten Sie noch ein Foto mit unserem lieben, ehrwürdigen Herrn Pfarrer schießen, der möchte so gern mit aufs Bild?“, bittet mich Silke, die kleine, stämmige Braut, die in ihrem Brautkleid aussieht wie ein Lampenschirm, den man mit weißem Satin überzogen hat. Sie hat einen etwas zu kurz geratenen Hals und ihre Oberarme wirken sehr kräftig. Ihr pausbäckiges, aber hellhäutiges Gesicht gleicht der Farbe einer Labormaus. Sie ist gerade mal zwanzig Jahre alt, zehn Jahre jünger als ich. Mit großen Kulleraugen sieht sie mich an. Augen, die den Anschein erwecken, als könnte sie damit kein Wässerchen trüben, obwohl sie in Wirklichkeit eine exzellente Brunnenvergifterin ist. Aber leider besitzt sie außer dem gewissen Nichts an Ausstrahlung, das gewisse Etwas: Eine beachtliche Mitgift, die vorzugsweise bei gescheiterten Existenzen einen akuten Testosteronstoß auslöst. Geld macht geil…
Also zücke ich meinen Fotoapp arat und stelle ihn scharf, meinen Augustin, meinen Mitgiftjäger, diesen Mistkerl, der so schön elegant in seinem Hochzeitsanzug ausschaut, dass sich die Eifersucht wie schleichendes Gift in meinem Körper ausbreitet. Seine langen Haare fallen ihm in geschmeidigen Wellen auf die Schulter, sie glänzen wie Gold und duften ganz sicher nach Babyshampoon. Nie wieder werde ich diesen Duft einatmen, nie wieder seine Haare berühren, nie wieder seine kräftigen Oberarme spüren, nie wieder sein Lachen hören… nie wieder… nie wieder.
Warum habe ich nicht hartnäckiger um ihn gekämpft? Warum habe ich ihn ziehen lassen , wie einen Wanderarbeiter, ohne Geschrei, ohne Vorwürfe, böse Worte, Drohungen und Tränen? War es mein Stolz, meine Eitelkeit, oder die Einsicht, dass es keinen Sinn macht, mich auf dieses Niveau herabzubegeben? Ich glaube, es war der Schock, ein lähmendes Geflecht aus Entsetzen, Erschütterung und Ohnmacht, das mich zum Nichtstun, zum Zusehen, zum Schweigen verdammt hat. Vielleicht hätte ich all meine Gefühle zu Papier bringen sollen, das wäre einfacher gewesen, vielleicht hätte ich ihn wieder zugeneigt machen können… vielleicht… vielleicht. Man trifft immer eine falsche Entscheidung, wenn man die Wahl hat. Aber hatte ich eine Wahl? Vielleicht?
Mein Finger zittert, als ich den Auslöser betätige.
Ich knipse nur ihn. Meinen Augustin. Sein ernstes Gesicht, seine Augen, die mich tiefgründig besorgt mustern. Mit jenem mitleidigen Blick, mit dem sich die Liebe ausspricht, wenn sie keine Worte mehr finden darf.
„Sehr schön“, lobe ich, während die Braut und der Pastor ahnungslos in die Kamera lächeln, als hätte ich sie für eine Werbekampagne gebucht. Es wird nie ein Bild vom Brautpaar mit Pastor geben, jedenfalls nicht von mir.
„Noch eins!“, fordere ich scheinheilig auf, während ich konzentriert durch den Sucher gucke und meinen Liebsten mit der Anspannung einer Großwildjägerin fixiere.
Warum lächelt er denn nicht , mein Mitgiftjäger, denke ich.
Freut er sich denn gar nicht auf die bevorstehende Nacht?
D ie Hochzeitsnacht, die er mir versprochen hat.
2 . Kapitel
Es ist bereits spät am Abend, die Feierlichkeit hat ihren Höhepunkt erreicht. Die fünfstöckige Hochzeitstorte sieht aus wie der schiefe Turm von Pisa. Auf einem großen Tisch stapeln sich die Hochzeitsgeschenke. Edle Geräte: Toaster, Wasserkocher, Mixer, Espressomaschine, alles was man so braucht, eigentlich schon besitzt – was sich aber gut zum Weiterverschenken eignet. Mein Geschenk liegt auch auf dem Tisch, klein und unscheinbar, in schwarzes Geschenkpapier verpackt. Ein gemeinsames Foto von mir und dem Bräutigam. Es zeigt uns beide, wie wir glücklich in die
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