Liebe im Gepäck (German Edition)
wenn Sie schon so weit sind …«
Harry hatte keine Ahnung. Er hasste es, nichts Neues bieten zu können. Er hasste diese Interviews. Er hasste diese Frau. Vor allem diese Frau. »Frau«, sagte er schnell, um die Lücke zu schließen, die nach der Frage der Moderatorin entstanden war.
»Hat der Mann den Verstand verloren? ›Frau‹? Was soll denn das für ein Titel sein? Mit mir ist er jedenfalls nicht abgesprochen.« Anuschka knallte ihre Faust auf den Tisch.
»›Frau‹ also. Schlicht und einfach. Ach so. Aha. Na, da dürfen wir ja gespannt sein.« Die Moderatorin fand damit eine gute Gelegenheit, zu ihrem vorbereiteten Text zurückzukehren: »Haben Sie Ihre Frau geliebt?«
Harry war nun doch auch froh, das Thema zu wechseln. Er hätte schließlich nichts Näheres zur angekündigten CD »Frau« zu berichten gehabt. »Natürlich habe ich das. Wir sind jetzt vierzehn Jahre zusammen. Das ist eine lange Zeit. Ich wäre nicht so lange Zeit mit ihr zusammen geblieben, hätte ich sie nicht geliebt.«
Das entsprach nun schon eher den Erwartungen der Moderatorin: »Seeberstein, haben Sie eine Erklärung: Wo ist diese Liebe hingekommen?«
Harry zuckte mit den Schultern: »Nach Bayern?«
Anuschka war fassungslos. Wie kam der Idiot dazu, jetzt auch noch Schorsch ins Spiel zu bringen? Sie konnte nur hoffen, dass die Moderatorin nicht nachfragte. In der Branche war längst bekannt, dass Giselle ein Verhältnis mit ihrem Masseur hatte. Doch noch war die Tatsache nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.
Die Moderatorin war viel zu perplex, um gezielt nachzufragen. Sie blickte auf das nächste Stichwort-Kärtchen in ihrer Hand: »Ich habe gelesen, dass Sie einmal von einer Tournee zurückgekommen sind und einen fremden Rasierer im Badezimmer entdeckten. Tut es nicht sehr weh, wenn man ahnt, hintergangen zu werden?«
»Haha«, dachte Harry mit einem Anflug von Zynismus. Da hatte es nichts zu ahnen gegeben. Dass seine Frau ein Verhältnis hatte, das wusste er seit drei Jahren. Sie hatte ihn bereits vorher mindestens zweimal betrogen. Und er war während seiner Ehe, um genau zu sein, in den letzten fünf Jahren seiner Ehe, mit vielen anderen Frauen im Bett gewesen. Da sollte er sich über einen Rasierer im Badezimmer aufregen? Und in Tränen ausbrechen? Er hatte nicht die geringste Lust, auf die Tränendrüse zu drücken: »Ah, der Rasierer. Das hatte sich schnell aufgeklärt. Giselle verwendete ihn, um ihre Beine zu rasieren. Das werden Sie sicher verstehen.« Er blinzelte der Moderatorin verschwörerisch zu und schenkte ihr den Blick, der so manches Frauenherz auf der Stelle hätte schwach werden lassen: »Ein Topmodelmit unrasierten Beinen? Könnte sich die Welt etwas Schlimmeres vorstellen?«
Anuschka nippte an ihrem Espresso und verbrannte sich prompt den Mund: »Guido«, brüllte sie, »zu heiß!«
Am liebsten hätte sie »Harry! Halt den Mund!« gerufen. Doch Guido war nun mal hier. Und er konnte sie hören. Harry war im Studio. Die Sendung war live. Und Harry war soeben dabei, alles zu verbocken.
Sie hätte selbst auf der Bühne bleiben sollen. Wenn sie zielstrebig ihre Karriere fortgesetzt hätte, dann wäre sie jetzt nicht mehr länger nur Background-Sängerin gewesen. Musical-Star hätte sie werden können. Ein leibhaftiger Prinz hatte sie einmal auf seine Jacht eingeladen. Prinzessin hätte sie werden können. Doch was war sie geworden? Managerin. Managerin eines undankbaren, verstockten, unbelehrbaren Mannes.
Sie hatte keine Lust, dieses Interview länger anzuhören. »Guido, schalte den Mist ab!«
»Und nun darf ich unseren heutigen Stargast noch bitten, uns zum Abschied eines seiner Erfolgslieder zu singen, die wir ja seit Jahren kennen und lieben. Was wird es denn sein, Seeberstein?« Die Moderatorin versteckte ihre Attacke hinter einem scheinbar freundlichen Grinsen.
Harry erhob sich: »Wie wäre es mit ›Oberliga‹?«
So war es vereinbart. Und was hätte er auch sonst singen sollen? Das war sein letzter Hit, herausgekommen als Single-CD, auch schon vor einem Jahr.
Er stellte sich auf eine improvisierte Bühne. Die Hintergrundmusik wurde eingespielt, und dann sang er mit Play-back für die Kameraleute im Studio, den Regisseur, der gelangweilt in der Ecke lehnte, und den Mann, derihm auf einem großen Bildschirm den eigenen Text entgegenhielt. So, als hätte er ihn nicht schon Hunderte Male gesungen. So, als hätte er ihn sich nicht selbst ausgedacht. Obwohl er seinen Text lieber vergessen hätte.
Weitere Kostenlose Bücher