Liebe in Zartbitter
Bernhard bedingungslos. Deshalb hätte ich nichts dagegen, ihn mal ganz privat zu erleben. Aber das soll wohl nicht sein.
Fakt ist: Er hält mich für diese Elena Boyer und sein Interesse an mir ist ein rein dienstliches. Also sollte ich zusehen, wenigstens ohne großes Aufsehen aus der Sache wieder herauszukommen.
Während ich krampfhaft überlege, was ich tun soll, schiebt er mich ungerührt vor sich her.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich an einer Tür ein internationales Signet. Ist das die Rettung? Zumindest kann ich die Katastrophe hinausschieben.
„Sie entschuldigen mich für einen Moment.“
Ich mache mich los und deute mit dem Kopf diskret auf das Piktogramm, drehe mich auf dem Absatz um und bin, ohne eine Antwort abzuwarten, im nächsten Augenblick in der Damentoilette verschwunden.
In einer der Kabinen hocke ich mich auf das Becken und denke nach.
Am besten ist es wohl, einen Schlussstrich unter die Begegnung mit André de Marville zu ziehen und auf Nimmerwiedersehen aus dem Parlament zu verschwinden. Überraschenderweise tut die Aussicht, den gut aussehenden, nur leider ein wenig gestressten Politiker so sang- und klanglos aus meinem Leben zu streichen, ein bisschen weh. Wer hätte gedacht, dass ich einmal jemandem nachtrauern würde, der mich permanent hinter sich her zerrt oder vor sich her schiebt?
Als ich den Kopf zur Tür hinausstrecke ist die Luft rein. Statt zum Büro des Vize-Präsidenten zu gehen, werfe ich nur einen Abschied nehmenden Blick in diese Richtung und schlage den Weg zurück zum Fahrstuhl ein. Bevor sich die Tür schließt, zwängt sich ein junger Mann hindurch. Obwohl er es dezent tut, bemerke ich, wie er mich in der verspiegelten Rückwand mustert.
Bitte jetzt nicht noch jemanden, der nach der echten Referentin Ausschau hält!
In Blitzgeschwindigkeit hält der Aufzug im Foyer des Gebäudes. Als ich an der Rezeption vorbei in Richtung Ausgang steuere, hält mich ein Wachmann zurück.
Ach ja, die Kennkarte. Ich nehme sie ab und reiche sie ihm.
„Au revoir, Mademoiselle!“
Lieber nicht, denke ich und verlasse eilig das Gebäude.
Draußen herrscht noch immer Gedränge. Eine Gruppe Japaner, bewaffnet mit Nikons und Canons, schießt alles ab, was ihr vor die Linse kommt. Ein Reisebus, der laut Aufschrift aus Schweden stammt, spuckt eine Menge Personen aus. Eine Reiseleiterin winkt ihnen, zusammenzubleiben, nicht auseinanderzulaufen. Ich muss unwillkürlich an die Answalts denken.
Die Uhr des nächstgelegenen Turms verrät mir, dass es inzwischen früher Nachmittag ist. Die Tour zur Schokoladenfabrik kann ich jedenfalls vergessen.
Nachdem ich mich auf einem Stadtplan, der hier an jeder Ecke aushängt, gründlich informiert habe, mache ich mich gedankenverloren auf den Weg ins Hotel, in der Hoffnung, vor der Reisegruppe dort zu sein.
XVI.
„Elena Boyer. Ich möchte zu Vize-Präsident André de Marville. Wir haben telefonisch einen Termin vereinbart.“
Obwohl der Wunsch in perfektem Französisch vorgetragen wird, schaut der Wachmann irritiert.
Elena zögert nicht, greift in ihre Handtasche und zieht ihren Pass hervor.
„Es muss eine Legitimation für mich bereitliegen“, sagt sie energisch.
Ein zweiter Uniformierter tritt hinzu.
„Das geht in Ordnung“, bestätigt er und händigt der eleganten jungen Dame die Kennkarte aus, die noch vor einer halben Stunde um Lenas Hals gehangen hat.
„Sie kennen sich aus. Neunte Etage, Zimmer 945“, gibt er routiniert Auskunft.
Elena passiert die elektronische Sperre und strebt eilig in Richtung Fahrstuhl. Sobald sie in Gedränge gerät, presst sie ihre Tasche unwillkürlich fester an sich.
„Die hat nur ihre Unterlagen geholt“, klärt Wachmann Pierre seinen Kollegen auf und erzählt ihm dann genüsslich, wie die Mademoiselle ohne Handtasche und Papiere vor ein paar Stunden von dem Vize-Präsidenten gegen alle Vorschrift regelrecht durch die Sperre gezerrt worden ist.
„Nicht besonders charmant, der Herr Franzose“, äußert er in breitem Belgisch.
Grinsend schauen beide der jungen Frau hinterher.
In der neunten Etage findet Elena zu ihrem Unmut das Büro des Vize-Präsidenten verschlossen vor. De Marville sei schon wieder in einer Besprechung, teilt ihr eine freundliche Sekretärin aus dem Nebenzimmer mit. Wo dessen Assistent steckt, weiß sie nicht zu sagen. Sie bietet der jungen Dame an, bei ihr auf den vielbeschäftigten Politiker zu warten.
Elena überlegt. Einerseits müsste sie de Marville
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