Liebe in Zartbitter
dringend sprechen, um den Ablauf der Anhörung zu erfahren, andererseits das mitgebrachte Manuskript noch einmal durcharbeiten.
Ein wenig Zeit bleibt mir noch, entscheidet sie und folgt der freundlichen Einladung. Auch die angebotene Tasse Kaffee schlägt sie nicht aus. Um sich die Zeit zu vertreiben, vertieft sie sich in ihre Unterlagen. Auf den korrekt gekleideten jungen Mann, der zwischenzeitlich mit einem Auftrag an die Sekretärin herantritt und – während die ihn umgehend erfüllt – den Gast aufmerksam mustert, achtet Elena nicht. Bald ist sie mit ihrer Geduld am Ende, wartet jetzt bereits eine geschlagene Stunde. Zu allem Übel beginnt der verstauchte Knöchel zu schmerzen.
Elena schiebt die leere Tasse beiseite und greift zum Handy, doch statt des Vize-Präsidenten meldet sich unter der gewählten Nummer nur die Mailbox. Genervt stopft sie das Handy zurück in die Tasche und die Vortragsnotizen gleich hinterher.
„Kann ich bei Ihnen eine Nachricht für Herrn de Marville hinterlassen – und bekommt er sie heute noch?“, fragt sie die Sekretärin. „Er soll mich dringend wegen der morgigen Anhörung anrufen. Noch besser wäre es, wenn er mich in meinem Hotel aufsuchen würde“, teilt sie der Angestellten mit. „Ich schreibe ihm die Adresse auf. Es ist wirklich außerordentlich wichtig.“
Die Sekretärin verspricht, ihm die Nachricht zuzustellen.
„Wenn ich ihn nicht mehr sehen sollte, hinterlege ich sie beim Sicherheitsdienst. Der übergibt den Brief, wenn der Herr Vize-Präsident das Gebäude verlässt. Das machen wir häufig so“, verspricht sie.
Daraufhin wirft Elena ein paar Sätze in ihrem eleganten Französisch aufs Papier.
„Ich verlasse mich auf Sie!“, betont sie, als sie sich von der hilfsbereiten Angestellten verabschiedet.
An der Rezeption, wo sie ihre Kennkarte abgibt, lässt sie sich ein Taxi bestellen. Dann verlässt sie das Gebäude mit leicht humpelndem Gang. Sie ahnt, wenn sie morgen fit sein will, braucht der Knöchel dringend Schonung.
XVII.
Ich bin kaum dazu gekommen, meine Pumps abzustreifen, sie mit den bequemen Boots zu vertauschen, das Kostüm in den Schrank zu hängen und in Jeans und T-Shirt zu schlüpfen, als es zaghaft an meine Zimmertür klopft. Als ich öffne steht ein älteres Ehepaar vor mir – die Answalts.
„Dürfen wir Sie einen Moment stören?“
Es klingt schuldbewusst.
Erleichtert, dass sich die beiden wohlbehalten wieder eingefunden haben, bitte ich sie herein.
„Also, das war so“, beginnt Frau Answalt, eine mollige Mittsechzigerin mit mehr silberner als blonder, dauergewellter Frisur, und entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, die sie und ihr Mann uns bereitet haben.
„Für uns war die Stadtführung nicht so interessant, darum haben wir uns abgeseilt. Wenn wir schon mal in Brüssel sind, wollten wir unbedingt ein paar Spezialitäten von hier mitbringen.“
Sie lächelt und deutet auf einen Stadtplan, den sie in der Hand hält. „Nachdem wir in diesen Galeries de la Reine in einigen Geschäften gewesen sind, um ein paar Souvenirs für die Kinder und Enkel zu kaufen – Pralinés, eine Gobelin-Handtasche, Deckchen und ein Sonnenschirmchen aus echter Brüsseler Spitze – na ja, eben typisch Belgisches...“, beginnt sie zu schwärmen, kommt dann aber zur Sache. „Also nachdem wir das eingekauft hatten, wollte mein Mann unbedingt in eine dieser Kneipen, wo es das berühmte Kirschbier von Lindemans gibt.“
Sie wirft ihrer Ehehälfte einen vorwurfsvollen Blick zu.
Herr Answalt, einen halben Kopf kleiner als sie, bringt höchstens die Hälfte ihrer Kilos auf die Waage. Sein gutmütiges, von etwas wirrem, graumeliertem Haar eingerahmtes Gesicht, nimmt einen zerknirschten Ausdruck an.
„Aber ich habe versucht zu telefonieren...“, wendet er zaghaft ein.
„Wir haben also so ein Lokal gefunden und sind dort auf ein Bier eingekehrt“, reißt Frau Answalt das Wort erneut an sich. „Bis zum Treff ist an sich reichlich Zeit gewesen, doch dann hat uns der Kellner ein Fachgeschäft für Bier empfohlen. Mein Mann war nicht mehr zu halten Da mussten wir unbedingt noch hin. Und aus diesem ‚Paradies für Bierliebhaber‘ war er einfach nicht mehr hinaus zubekommen.“
Erneut trifft den Verursacher der Verspätung ein missbilligender Blick.
„Aber ich habe versucht zu telefonieren!“, verteidigt der sich lahm.
„Er sammelt nämlich Bierflaschen, müssen Sie wissen.“, verrät sie, Ich schaue interessiert und wünsche
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