Liebe ist der größte Schatz
erkundigte sie sich, obwohl ihr viel mehr die Frage auf der Seele brannte, ob sie sie würde bezahlen müssen.
Henshaw trat zu dem Säulenpodest und inspizierte es. „Der Sockel, auf dem sie stand, war nicht stabil genug. Ich hätte ihn längst auswechseln lassen sollen. Überdies habe ich dekorative Accessoires noch nie besonders geschätzt.“
Das herzhafte Gelächter, in das Wellingham daraufhin ausbrach, veranlasste Emerald, sich beunruhigt umzusehen. Ihr fiel auf, dass der gesamte Raum über und über mit Liebhaberstücken ausgestattet war. Ihr Gastgeber hatte ihr gegenüber also offenkundig nur charmant sein wollen.
„Es tut mir furchtbar leid“, brachte sie verzweifelt hervor, als ihr klar wurde, dass sie niemals in der Lage sein würde, die Vase zu ersetzen. Sie wünschte sich fort von diesem Ort, zurück nach Jamaika, wo überall Platz war, die Arme auszubreiten und glücklich um die eigene Achse zu wirbeln. Dort wollte sie leben mit Ruby und ihrer Tante – weit weg von dem Mann, der sie aus der Bahn zu werfen drohte.
Doch vorher musste sie den Spazierstock in ihren Besitz bringen, denn ohne ihn waren ihr die Hände gebunden.
Beflügelt von diesem Gedanken, kniff sie die Augen zusammen und rang sich erfolgreich eine Träne ab. Englische Gentlemen liebten schwache hilflose Damen, wie sie gleich bei ihrer Ankunft in London hatte feststellen können, und sie war solchen Frauen seither überall begegnet, in Ballsälen, in Salons und im Park.
Umso mehr überraschte es sie, dass der Duke of Carisbrook, statt fürsorglich an ihre Seite zu eilen, ein paar Schritte zurücktrat. Sie musste etwas falsch gemacht haben, denn seine Miene verschloss sich abrupt. Emerald biss sich auf die Lippe. Er war anders als die englischen Männer, die sie bislang kennengelernt hatte. Er glich ihnen weder im Aussehen noch in seinem Temperament oder seinen Eigenarten.
Verdammt.
In einem Monat würden ihre Mittel aufgebraucht sein und die Dienstboten ihre Entlohnung einfordern. Konnte sie nicht zahlen, war ihr die Verachtung ganz Londons sicher. Ihr selbst erschien diese trübe Aussicht nicht so entmutigend; die Tante, bereits in die Jahre gekommen, hatte indes etwas mehr Komfort in ihrem Leben verdient. Ihr Titel, wenngleich ehrwürdig, brachte leider kein Geld ein.
Emerald fröstelte und zog sich den Schal enger um die Schultern. „Es ist kühl.“ Sie brauchte ein wenig Zeit, um sich darüber klar zu werden, weshalb das rätselhafte Gebaren des Duke of Carisbrook sie so seltsam berührte. Sie musste fort von hier, um ihre gesamte Planung zu überdenken.
„Ich werde einem Lakaien ausrichten, dass er anspannen lassen soll.“ Asher schickte sich an, den Raum zu verlassen, doch Miriam hielt ihn auf.
„Das wird nicht nötig sein, Euer Gnaden. Wir sind durchaus in der Lage, uns eine Droschke rufen zu lassen …“
Emerald, der ein guter Einfall gekommen war, unterbrach die Tante. „Wir wären beglückt, Ihr großzügiges Angebot anzunehmen, Euer Gnaden. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht lange unterwegs sein und Ihnen keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten werden.“ Sie warf einen Blick auf die Kaminuhr. „Es ist zwanzig nach eins, Sir. Sie werden Ihre Kutsche zurückhaben, bevor die Uhr zwei schlägt.“
Er bedachte sie mit einem unverhohlen verständnislosen Blick. Sie konnte nur annehmen, dass er ihre Erscheinung ebenso unmöglich fand wie ihr Benehmen.
„Dann verabschiede ich mich jetzt von Ihnen.“
Der Duke machte eine knappe Verbeugung und wandte sich zum Gehen. Emerald bemerkte zum ersten Mal, dass er sein rechtes Bein leicht nachzog.
Sofort fiel ihr der Stock wieder ein, der Stock mit der darin verborgenen Schatzkarte, die ihr, so hatte es Beau geschworen, zu einem beträchtlichen Vermögen verhelfen, sie von ihren Schulden befreien und ihr wieder ein halbwegs angenehmes Leben ermöglichen würde.
Leise Zweifel, ob sie die Karte jemals in den Händen halten würde, verdrängte sie rasch. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Geschichte zu glauben, die Azziz vor zwölf Wochen in den Tavernen von Kingston Town gehört hatte – dass der Duke of Carisbrook mit einem auffallend schönen Spazierstock aus Ebenholz, dessen Schnitzereien und Verzierungen ihresgleichen suchten, in London gesehen worden war.
Den Beschreibungen nach war Emerald sich ganz sicher: Es war der mit Smaragden und Rubinen besetzte Spazierstock ihres Vaters gewesen, in dessen Aushöhlung unterhalb des abnehmbaren Knaufs sich
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