Liebe ist kein Beinbruch
Nikki erklomm die Leiter Stufe für Stufe. Als sie sich sicherer fühlte, warf sie einen Blick nach unten zu Porter, der ihr zuwinkte und lächelte.
„Lassen Sie sich Zeit“, rief er. Er hatte die Hände wie einen Trichter um den Mund gelegt. „Ich bleibe solange hier und unterhalte mich mit der Natur.“
Sie kletterte weiter und machte auf der Hälfte der Strecke eine Pause. Es war ein unwirkliches Gefühl, sich zwischen den majestätischen Bäumen aufzuhalten, während der Wind durch die Zweige wehte und die Blätter zum Tanzen brachte. Sie fragte sich, was für Bäume das waren. Die duftigen immergrünen Bäume als solche waren leicht zu erkennen, aber sie wusste, dass es so viele unterschiedliche Arten gab wie Knochen im menschlichen Körper. Ihr Kopf war vollgestopft mit Fakten aus medizinischenWälzern, doch über die Natur wusste sie nichts. Sie hatte keine Ahnung, welche Vögel im Sturzflug aus den Zweigen herabschossen oder welche Insekten dort zirpten und summten.
Es traf Nikki, feststellen zu müssen, dass sie Bildungslücken hatte.
„Geht es Ihnen gut da oben?“, schrie Porter.
Sie blickte hinunter und streckte einen Daumen nach oben. Dann stieg sie weiter hinauf, bis sie die Plattform unterhalbdes riesigen weißen Wassertanks erreichte. An seine warnenden Worte denkend, hangelte sie sich vorsichtig von der Leiter auf die metallene Plattform. Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte, atmete sie erleichtert tief durch.
Der Wasserturm war gigantisch. Ganz oben war er kapselförmig mit einer Abdeckung aus Metall auf der Spitze. Der Turm schien frisch geweißt zu sein, und sie konnte sich vorstellen, wie viele Farbschichten sich darunter befinden mochten. Sie legte die Hand auf den Metalltank, der an dieser der Sonne abgewandten Seite noch immer kühl war, und staunte über die Kraft und die Geschichte dieses Bauwerks. Nikki folgte dem brusthohen Geländer bis zur vorderen Seite des Turms, die zum Tal wies. Als sie das unglaubliche Panorama erblickte, stockte ihr der Atem.
Sie hatte nicht gewusst, dass es so viele unterschiedliche Grüntöne gab. Berghänge in der Ferne waren mit dichtem Grün bewachsen, das sich im Wind, der über die Landschaft strich, wie die Wellen des Ozeans bewegte. Ihr weiches Haar wurde aus dem Zopfband gezerrt, und die Strähnen wehten ihr um den Kopf. Sie hob ihr Gesicht der Sonne entgegen und atmete tief ein.Wie frisch die Luft in dieser Höhe doch war– nicht verschmutzt und wie gereinigt durch das Gras und die Blätter, die wie ein Filter wirkten. Es war ein berauschender Duft.
Unter ihr fiel der bewaldete Boden ab bis zum Grund der Schlucht, wo die nach Sweetness führende Straße, ein von Menschenhand geschaffenes schwarzes Band, sich durch die scheinbar undurchdringliche Weite roter Erde schlängelte. Von hier aus hatte Porter Armstrong sicherlich einen guten Aussichtspunkt gehabt, um die Autokarawane zu sehen, die auf dem Weg nach Sweetness gewesen war.
Eine Bewegung am Geländer weckte ihre Aufmerksamkeit. Der Wind spielte mit den Ärmeln eines blauen Jeanshemdes, das über dem Handlauf hing. Ihre Gedanken wanderten zu Porters nacktem Oberkörper, den sie gestern gesehen hatte – das hier musste sein Hemd sein. Sie konnte sich vorstellen, dasser nach dem Aufstieg Abkühlung gesucht und es ausgezogen hatte. Nikki nahm das Hemd vom Geländer. Die Baumwolle war leicht zerschlissen und trotz der Sonne noch immer ein bisschen feucht von dem Regenguss der vergangenen Nacht.
Sie hob den Kragen an die Nase – es duftete noch immer nach Mann. Diese angenehme Assoziation ließ ein Verlangen in ihrem Innersten aufbranden. Die Intensität des Gefühls überraschte sie.
Dann bemerkte Nikki, dass ihr Handy vibrierte.
Ihr fiel wieder ein, warum sie überhaupt hier hinaufgeklettert war, und sie nahm das Handy von ihrem Hosenbund. Das Signal war stark, und Pfeile zeigten an, dass gerade Sprachnachrichten und E-Mails übertragen wurden. Nikki war verwirrt darüber, wie erleichtert sie war, wieder mit der Außenwelt verbunden zu sein. Sie hatte sich nie als einen Menschen betrachtet, der von der neuesten Technologie abhängig war. Aber an diesem abgelegenen Ort hatte sie sich unglaublich einsam gefühlt. Und von allem Vertrauten abgeschnitten zu sein hatte dieses Gefühl nur noch verstärkt.
Ihr Herz pochte schneller, als sie die Nummer wählte, um ihre Mailbox abzuhören. Ob Darren angerufen hatte? Hatte er gemerkt, dass sie nicht mehr in Broadway
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