Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
sie, das weißt du«, sagte meine Mom, »aber ohne ihn ist sie wirklich anstrengend geworden.«
Ich putzte mir die Nase. »Entschuldigung, Mom.« Ich schniefte. »Du meinst, wegen der Demenz.«
»Nein, nicht deswegen. Sie fordert einfach so viel Aufmerksamkeit.«
Ich schwieg. »Meinst du … meinst du, ich sollte zu ihr ziehen?«
»Oh Gott! Das ist ja lieb gemeint, aber das würde wirklich niemand von dir erwarten.«
»Aber ich könnte es.«
»Krissy, das ist sehr großzügig von dir, aber dein Dad bekommt einen Herzinfarkt, wenn du nicht entweder zehn Stunden am Tag schreibst oder dir einen Job suchst. Okay, ich übertreibe vielleicht … aber nur ein bisschen. Außerdem darf in der Anlage niemand wohnen, der jünger als fünfundsechzig ist. Du darfst höchstens vier Nächte hintereinander da schlafen.« Mom schnaubte. »Und sie geht da nicht weg, das kannst du mir glauben. Grandpa hat sie schließlich dorthin gebracht. Sie gehen mit den alten Damen zum Einkaufen, sie bringen sie mit Bussen ins Schauspielhaus nach Pittsburgh, jede Woche gibt es Abendveranstaltungen im Gemeinschaftszentrum, und ich sage dir, es ist wirklich sehr schick da. Abgesehen davon, dass sie Grandpa vermisst, hat es deine Großmutter wirklich gut getroffen. Komm einfach nach Hause und verbring ein bisschen Zeit mit ihr. Alle werden sich freuen, dass du wieder da bist, vor allem Dad und ich.«
Zwei Monate später habe ich alle Hände voll mit Großmutter zu tun – in Dads Wagen kutschiere ich sie zum Arzt und begleite sie überallhin.
»Wolltest du nicht einen Regenschirm von zu Hause holen, Grandma?« Die Junisonne strahlt hell durch die Windschutzscheibe. »Und sollen wir dann im Restaurant essen, oder sollen wir etwas mitnehmen?«
»Nein, wir essen dort.« Ich kann förmlich hören, wie sie denkt: Dann bin ich eine Zeitlang unterwegs.
Ich erwähne nicht, dass ich bald einen Artikel abgeben muss oder dass ich in zwei Stunden einen Zahnarzttermin habe. Sie braucht Hilfe und Gesellschaft, und im Moment bin ich die Einzige in der Familie, die fast unbegrenzt Zeit hat. Im Stillen mache ich mir Sorgen, dass ich mit meinem Schreiben nicht fertig werde. Mein Dad ist der gleichen Meinung. Er hat mir schon nach Italien immer wieder aufmunternde Zeilen geschickt, ähnlich wie Grandpa. Du kannst alles schaffen, wenn du es nur willst oder Schreiben ist deine Leidenschaft. Wenn ich doch nur die Zeit dazu hätte!
»Oh!«, sagt Grandma, als wir an der Apotheke vorbeikommen. »Halt mal an! Ich muss den Apotheker etwas fragen.«
Als die Türglocke bei unserem Eintreten bimmelt, blicken die Herren hinter der Theke auf und verschwinden. Plötzlich bin ich mir sicher, dass jeder medizinisch geschulte Mensch im Umkreis von fünfzig Kilometern sich am liebsten in Luft auflösen würde, wenn meine Großmutter auf ihn zukommt.
»Haben Sie noch mehr Sodbrennen bekommen, Gloria?«, murmelt der untersetzte Apotheker.
»Der Arzt sagt, es sei eine Nebenwirkung der Antidepressiva, aber es stört wirklich meine Verdauung.«
»Haben Sie kein Magenmittel mehr?«
»Nun, danach wollte ich Sie gerade fragen …« Sie fängt an zu stammeln, und der Apotheker sieht mich erwartungsvoll an. Als ich versuche, ihr Gestotter zu übersetzen, würgt sie mich ab. Ich lasse die beiden allein und gehe in den Gang mit den Zahnpflegeprodukten.
Zwanzig Minuten später sitzen wir wieder im Auto, ohne Medikament, ohne Geduld, ohne Mittagessen. »Weißt du was, Grandma? Ich glaube, du kommst auch ohne Schirm klar. Lass uns direkt zu Ruby Tuesday fahren. Ich komme um vor Hunger.«
Sie ist wütend. »Ja, ist in Ordnung.«
Als die Kellnerin uns fragt, wo wir uns hinsetzen möchten, blickt Großmutter sich unentschlossen um. Schließlich sage ich: »Wenn noch etwas frei ist, würden wir gerne am Fenster sitzen.«
»Und irgendwo in der Nähe der Salat-Bar, um Himmels willen nur nicht beim Käse.«
»Und nahe an der Salat-Bar bitte.« Ich lächele versöhnlich. Mein Gott, wie hat mein Großvater das nur sechzig Jahre lang ausgehalten? Und warum? Sie ist streitsüchtig, sie ist undankbar, sie kann keine Entscheidungen treffen, und obwohl sie einmal die prüdeste Person war, die ich kenne, unterhält sie sich jetzt am liebsten über ihre Verdauungsprobleme. Mir wird bewusst, dass in all den Jahren, die ich sie kenne, bei all den langen Abenden mit Rigatoni und Wein, mein Großvater derjenige war, der die Gespräche geführt hat. Das hätte mir auch schon früher auffallen können,
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