Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
erzähle ihr nicht, dass wir auch bei klassischer Musik arbeiten, dass ich seinen Duft liebe, wenn er den ganzen Tag gearbeitet hat, dass ich eines Nachmittags eine Pause machte und zu dem Teich vor seiner Praxis gegangen bin, um die Enten zu betrachten. Der Wind fuhr mir durch die Haare und erfasste mein Kleid … und genau in diesem Moment klopfte Chris von drinnen an die Scheibe, legte seine Finger aufs Glas und lächelte. Er hatte mich in diesem einen weiblichen, wundervollen Moment gesehen. Er sah mich .
Ich zähle meiner Großmutter die Projekte auf, an denen wir arbeiten, und danach entschuldige ich mich, indem ich Salz ins Wasser gebe, damit ich die etwas heikleren Details nicht auch noch erzählen muss. Momentan kann ich keine Emotionen einer anderen Person gebrauchen – besonders nicht die meiner zerbrechlichen Grandma –, weil sie meine Verwirrung nur noch größer machen.
Meine Mom und meine Tanten kommen, stellen Schüsseln und Platten mit Salat, italienischem Brot und Kuchen auf den Tisch. »Ooh, Kokosnuss-Creme!« Ich spähe in eine Schachtel. »Grandpas Lieblingskuchen … und meiner auch.« Ich öffne die Schachtel, und wir betrachten alle die Torte.
»Gloria, keine Tränen«, sagt eine meiner Tanten. »Ich weiß, dass wir keinen Kuchen wollten, aber von Torte hat niemand etwas gesagt.«
Die Männer kommen separat, einer nach dem anderen aus dem Büro. Je mehr Leute kommen, desto vergnügter wird Grandma. Durch den ganzen Trubel wird Grandma erfolgreich von dem Grund abgelenkt, warum wir alle hier sind. Ich denke an Tom Hanks in Eine Klasse für sich .
»An Geburtstagen wird nicht geweint!«
Mom und ich schaffen gerade mit vereinten Kräften vier Pfund Spaghetti vom Sieb in Grandmas riesige Pasta-Schüssel, als Dad endlich kommt. »Findet hier etwa eine Party statt, Mom?«, fragt er.
»Ja, es ist auch eine Party!«, antwortet Grandma. »Trinkst du Rotwein oder Weißwein, Billy?«
Wir nehmen zu zwölft an Grandmas Esstisch Platz, die Männer lockern ihre Krawatten. Brot wird herumgereicht, und die Weinflaschen kreisen, bis Grandma – hat sie einen Schwips? – um Gnade bittet. Wir sprechen das Tischgebet, und nach dem Amen heben wir unsere Gläser. »Auf das Geburtstagskind!«, sagt Onkel Phil.
Das Essen wird noch fröhlicher, als wir erfahren, dass unser Unternehmen heute einen schönen Auftrag an Land gezogen hat, der einem bisher umsatzschwachen Jahr ein Ende bereitet. Verstohlen blicke ich zur Decke, vorbei an Grandmas Leuchter. Du kümmerst dich immer noch um alles, nicht wahr?
Und obwohl die Hauptperson am Geburtstagstisch fehlt, ist es wie in alten Zeiten – einschließlich Großmutters Lachen.
Gemeinsam feiern wir den Mann, der immer wusste, was er wollte: Autonomie bei seiner Arbeit und eine Partnerin, die das schätzte.
5
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seiner Arbeit
Jedes Jahr gibt es eine kurze Zeitspanne, in der die Landschaft von Central Pennsylvania nur auf folgende Weise beschrieben werden kann: einfach wundervoll.
Dieses Wunder findet immer Mitte Oktober statt. Eine Farbenpracht hat sich über die Wälder ergossen, tanzt über die Bäume, spiegelt sich im Wasser. Wenn man am See entlangfährt, blickt man auf einen Hügel, der zu beiden Seiten von majestätischen Bäumen flankiert ist. Dieses Bild lässt mich an den königlichen Hochzeitsritus denken, wenn Braut und Bräutigam durch einen Bogen aus gestreckten Schwertern den Buckingham Palace betreten.
Als ich weg war, hatte ich diese Pracht, die man sonst nirgendwo findet, vergessen. Es fühlt sich an wie die Einführung in etwas Großes und Einzigartiges. Tief im Innern empfinde ich Chris’ Projekt ähnlich – ich arbeite bis spätabends, um die Termine einhalten zu können, esse mit seinen berühmten Kollegen, die aus dem ganzen Land angeflogen kommen, um Geld in seine Auslandspraxis zu investieren oder zumindest ihr Interesse zu bekunden, und jetzt das: eine Fahrt nach New York. Ich lehne an seinem SUV , als er sein Gepäck einlädt. »Meinst du, fünf Anzüge sind genug für sechs Wochen?«
»Das sage ich dir, wenn du dir noch einmal wie ein Gorilla die Brust kratzt.«
Er hält inne und wirft mir einen verwirrten Blick zu. »Wie was?«
»So wie du es gerade gemacht hast.«
»So?« Er kratzt sich noch einmal mit beiden Händen die Brust. Ich lache. »Habe ich das getan?«
Als ich aufgehört habe zu lachen, spähe ich noch einmal in seinen Koffer, in dem sich die fünf maßgeschneiderten italienischen Anzüge für
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