Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
weiter!«
Chris hatte mich ins Peking am Boulevard bestellt und mich gebeten, etwas zu schreiben mitzubringen. Wozu mochte das gut sein? Musste er aus der Stadt fliehen und brauchte Hilfe? Wollte er mir seine Autobiographie diktieren?
Er stieg aus seinem Mercedes, als ich in die Parklücke neben ihm einbog. Er wartete, bis ich bei ihm war, und dann umarmte er mich und wirkte dabei kühl und distanziert – hatte er meine E-Mail etwa persönlich genommen? Doch als ich mich von ihm löste und ihm ins Gesicht blickte, sah er noch genauso aus wie immer. Ich bekam weiche Knie. Vielleicht hätte ich nicht so heftig auf ihn reagieren dürfen, aber ich tat es eben.
Wir setzten uns an den von ihm reservierten Ecktisch, und er grüßte die Gäste am Nebentisch – anscheinend ein Patient und dessen Frau; beide musterten mich schamlos. Chris bestellte Fisch und Gemüse mit ungeschältem Reis ohne Soße; und auch ich beschloss, etwas Leichtes zu nehmen, und entschied mich für die scharfe Gemüsesuppe. »Ich muss dir sagen, warum ich dich hierhergebeten habe«, sagte er und legte seine Stoffserviette auf seinen Schoß.
»Okay.«
»Ich habe einige Monate an einem Projekt gearbeitet. Es gibt ein Krankenhaus in Südostasien, das mich beauftragt hat, eine Abteilung für plastische Chirurgie dort aufzubauen …«
Das war für mich das Stichwort, den Stift zur Hand zu nehmen und mit der Niederschrift zu beginnen. Hastig notierte ich die wichtigsten Aussagen auf meinem Notizblock. Aber innerlich musste ich gegen die Traurigkeit ankämpfen, die in mir aufstieg. Chris erzählte mir, dass er weggehen würde.
»Ein ambitioniertes Vorhaben, was?«, unterbricht Grandma mich.
Ambitioniert? Egoistisch wäre passender. Ich beiße mir auf die Zunge.
»Lass mich raten«, fährt Grandma fort. »Du sollst ihm bei der Vorbereitung helfen.«
Ich blicke sie verblüfft an. Woher weiß sie das?
»Du bist ein kluges Mädchen«, sagt sie und steht auf, um Wasser für die Pasta aufzusetzen. »Jeder Mann mit ein bisschen Verstand möchte dich gern an seiner Seite haben.«
War ich wirklich an Chris’ Seite? Ich wusste es nicht. In den letzten Wochen hatten wir beide abends stundenlang zusammen in seiner stillen Praxis gearbeitet. Wir stellten eine Präsentation für Südostasien für ihn zusammen, und das erforderte eine Menge Recherchen meinerseits über die kosmetische Tourismus-Industrie. Außerdem kümmerte ich mich um sein Marketing-Material, und das Design seiner Visitenkarten und seiner Website gefiel ihm so gut, dass er meinte, ich solle in Zukunft alle graphischen Entscheidungen treffen.
Wenn sich abends seine Angestellten von ihm verabschiedeten, musterten sie mich von oben bis unten und fragten sich ganz offensichtlich, warum ich da war. Natürlich konnte er ihnen nichts von seinen Plänen erzählen, seine Praxis nach Übersee zu verlegen, weil sie ja dadurch wahrscheinlich ihre Arbeit verlieren würden … und sein Schweigen machte mich noch geheimnisvoller. Er sagte höchstens: »Ann, Sie haben Krissy doch schon Anfang der Woche kennengelernt, nicht wahr?« Ich lächelte unschuldig und sagte zu Ann, es sei schön, sie wiederzusehen.
»Ich kann mich nicht an Sie erinnern«, antwortete sie. »Es sei denn, Sie waren diejenige mit der exzentrischen Brille am Montag.«
»Ja, genau, das war ich!«, erwiderte ich und überhörte ihre beleidigende Bemerkung über meine Lesebrille, um ihr durch meine Freundlichkeit zu zeigen, dass ich absolut keine Bedrohung für sie darstellte, was ihren Chef betraf.
Nachdem Chris all seinen Angestellten eine gute Nacht gewünscht hatte, schloss er die Praxistür ab und legte sich auf den Teppich. Er ließ seiner Erschöpfung und seiner Frustration freien Lauf und erzählte mir, dass er gerade mit einer Patientin geweint hatte, die sagte, sie bräuchte Botox, weil sie das Gefühl hätte, in den sechs Monaten, seit bei ihrer Tochter Krebs diagnostiziert worden sei, um dreißig Jahre gealtert zu sein. Er schaltete die grelle Deckenbeleuchtung aus, und als wir im Lampenschein arbeiteten, wirkte das Büro warm und behaglich. In solchen Momenten ertappte ich mich dabei, dass ich ihm am liebsten private Angelegenheiten von mir anvertrauen würde, aber ich riss mich im letzten Augenblick zusammen, weil ich es für das Beste hielt, unsere Beziehung rein geschäftlich zu halten. Vor allem jedoch wollte ich nicht, dass er aufhörte, sich mir zu öffnen.
Ich erzähle Grandma nicht die ganze Geschichte. Ich
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