Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
von dem Ort, in dem Emma und Sean wohnen. Eine Woche später gibt die Agentur den Job jemand anderem, da sie es für ein finanzielles und moralisches Risiko halten, mich so weit umziehen zu lassen.
Ich versichere ihnen, dass ich ihre Entscheidung verstehe, aber innerlich wächst meine Sorge, weil ich nicht weiß, womit ich in Zukunft meinen Lebensunterhalt verdienen soll. Und deshalb sage ich rasch zu, als Chris am ersten Freitag im Mai anruft, um zu fragen, ob ich am Samstag den Empfang in seiner Praxis machen könne.
Als er am Morgen durch die Eingangstür stürmt, bin ich bestürzt: Seine Haare sind kurz und mit Gel zurückgekämmt. In engen grauen Hosen und auf Hochglanz gewienerten Schuhen tritt er auf die Empfangstheke zu und ergreift meine Hände. »Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagt er. Fünf Monate und acht Tage, um genau zu sein. Das letzte Mal stand er lächelnd in meiner Einfahrt und versprach mir, zu Thanksgiving ein Dessert mitzubringen. Aber ich kann ihm einfach nicht böse sein. Er ist ein guter Freund. »Du hast ja die Haare ganz kurz!«, merke ich sanft an.
»Ich repräsentiere jetzt auch mein Land.« Er nimmt eines der Vollkorn-Schokoladenplätzchen, die ich für seine Angestellten gebacken habe, und dann folgen sie ihm alle in den Behandlungsraum, um den Tagesablauf durchzusprechen. »Deine Haare sind auch kurz«, ruft er mir über die Schulter zu.
Ich fasse mir in den Nacken. Als ich Italien für immer verließ, umarmte mich Celeste zum Abschied und bat mich, ihr zu versprechen, dass ich mir die Haare erst abschneiden lasse, wenn ich Mutter bin. »Es ist das Schönste an dir«, hatte sie gesagt. Ich brach dieses Versprechen jedoch, nachdem mir Grandma erklärt hatte: »Du bist der Hauptgewinn.« Die Schönheit einer Frau, hatte ich gedacht, hat nicht zwangsläufig etwas mit ihrem besten körperlichen Merkmal zu tun. Zu Frühlingsbeginn fühlte ich mich so leicht und unabhängig wie schon lange nicht mehr, und ich hatte gelesen, dass es ein Akt emotionaler Befreiung sein könne, wenn man seine Haare abschneidet. Ich wollte eine Veränderung, und ich wollte ein frisches Aussehen, das zeigte, wie ich mich fühlte.
Mittags taucht Chris mit einer Kreditkarte auf und bittet mich, für uns sechs Mittagessen zu besorgen. Ich ordere großzügig und komme aus Rubys Kiosk mit einem Rücksitz voller Truthahn-Burger, Brokkolisuppe und Salat. In der Praxis baue ich alles im Pausenraum auf und gebe Chris seine Karte und den Beleg. »Wir lassen die anderen zuerst essen«, sagt er. »Dann können wir zwei gemeinsam Pause machen.« Als die letzte seiner vier Assistentinnen aus dem Pausenraum zurückkommt, bittet Chris sie, sich an den Empfang zu stellen, und winkt mir, ihm zu folgen.
Das Essen, das ich ausgesucht habe, sei perfekt, erklärt er und schaufelt sich Salat auf seinen Teller. Er zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich mir gegenüber. »Schön, dich zu sehen, Kris.«
Ich nicke fröhlich. »Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Er blickt zu Boden. »Dies ist mein letzter Samstag in dieser Praxis.«
»Du meinst für immer?«
Er nickt und sieht gedankenverloren aus dem Fenster. »Für immer.« Ich bin froh, dass er auf den Tisch blickt, weil er einen Löffel für seine Suppe sucht. Ich muss meinen Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle bringen. Ich sehe bestimmt so aus wie eine Geliebte, die auf dem Bahnsteig zurückbleibt. Ich greife in meine Haare und frage mich, ob ich mich vielleicht weniger verletzlich fühlen würde, wenn ich sie nicht abgeschnitten hätte. Als er mich ansieht, reiße ich mich zusammen. »In einem Monat ist die große Eröffnung meiner Praxis in Asien«, sagt er. »In den nächsten Wochen behandele ich meine Patienten in der Praxis eines Freundes.«
Wir schweigen beide, dann sehe ich ihn an. »Ich bin traurig, dass du gehst.«
Das scheint ihm neue Energie zu verleihen. Er springt auf und nimmt sich noch einen Truthahn-Burger. »Wie geht es deiner Familie?«
Ich erzähle ihm, dass Grandma ein paar gute Monate gehabt hat, jetzt aber wieder in ein Loch gefallen ist. »Sie geht jetzt endlich einmal in der Woche in eine Witwengruppe. Aber der Mutter meiner Mutter geht es auch nicht gut. Sie kann kaum noch etwas sehen und deshalb nicht mehr kochen oder im Garten arbeiten. Meine Eltern sind dieses Wochenende auf Geschäftsreise, deshalb gehe ich heute Abend mit ihr in die Kirche.«
Chris’ Augen leuchten auf. »Hey, weißt du was … ich glaube, ich habe etwas,
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