Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
musst du dich noch mit Grandma unterhalten, bevor du endlich begreifst, dass es auch Männer auf diesem Planeten gibt, die dir einfach nur einen Freundschaftsdienst erweisen wollen? Ich stellte mir vor, wie er wie ein typischer Italiener mit den Schultern zuckte und hinzufügte: Es ist doch nur eine Gesichtsbehandlung! Du und Emma, ihr habt euch merkwürdigere Substanzen ins Gesicht geschmiert, als ihr acht wart!
Das stimmte. Und so lag ich dann nach Chris’ allerletztem Tag in der Praxis auf der Untersuchungsliege, während er mit einem großen Pinsel in einer Porzellanschale rührte. »Du wirst das Ergebnis lieben«, sagte er. »Es schält alle abgestorbenen Hautzellen ab und enthüllt deine gesündeste Hautschicht.«
»Meine jüngste Schicht, oder? Deshalb machen Frauen das doch auch als Anti-Aging-Behandlung?«
»Genau. Und wenn ich im Herbst zurück bin, beginnen wir mit dem nächsten Schritt. Dann kommst du unter die UV -Lampe.« Ich lehnte mich entspannt zurück, bis mir etwas klarwurde: Es herrschte ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen uns, dass ich niemandem davon erzählen durfte. »Du hast dich vollständig abgeschminkt, oder?«
»Ja.« Das hatte ich nur ungern getan, weil ich mich eigentlich nie einem Mann ohne Make-up zeige, es sei denn, ich wache neben ihm im Bett auf. Du bist ja ein ganz Schneller, Chris!, witzelte ich im Stillen.
Leicht berührte er mein Kinn, um meinen Kopf nach hinten zu drücken. Langsam strich er mir die Haare aus der Stirn. Dann betupfte er ganz, ganz vorsichtig den Bereich über meinen Augenbrauen mit einem Wattebausch. Er befeuchtete einen weiteren Wattebausch für mein Kinn. »Ist das Hamamelis?«
»Ja. Gefällt es dir?«
»Mmh …« Mehr konnte ich nicht sagen, weil er gerade um meinen Mund herumwischte. Ich habe den Duft von Hamamelis immer schon gemocht, diese Mischung aus blumigem und therapeutischem Duft. Schließlich umfasste er mit beiden Händen mein Gesicht. »Bist du bereit?«, fragte er.
Ich lächelte ihn an. »Du tust so, als sei dies eine ernste Prozedur.«
»Nun«, entgegnete er ruhig. »Ich möchte ja, dass du dich dabei wohl fühlst.«
»Ja.« Ich lehnte mich weiter zurück. »Ich bin bereit.«
Er begann, mit seinem Pinsel die Lösung auf meiner Haut zu verstreichen. Ich tat so, als sei ich in Gedanken ganz weit weg, damit mich seine Nähe nicht so verlegen machte. Entspann dich , befahl ich mir und atmete tief ein. Es ist nichts Bedrohliches, so umsorgt zu werden … Ich stellte mir vor, mein Gesicht sei eine Leinwand, und auf der Stelle empfand ich seine Pinselstriche als so beruhigend, dass ich am liebsten eingeschlafen wäre. Ich weiß noch, wie ich als Kind so lange bei den Erwachsenen blieb, die am Tisch saßen, Wein tranken und sich unterhielten, bis Grandpa mich schließlich auf den Schoß nahm. Ich legte meinen Kopf an seine Brust, und er fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers Konturen meines Gesichts nach, bis ich schließlich einschlief.
»Ann, tun Sie mir bitte einen Gefallen«, flüsterte Chris. »Schalten Sie die Neonlampe aus.« Die Krankenschwester hatte in der Tür gestanden.
»Dr. Chris«, hörte ich Ann sagen, »Sie müssen noch die Papiere unterschreiben. Soll ich das Peeling weitermachen, damit Sie hinuntergehen können?«
»Danke, Ann, das ist lieb von Ihnen«, erwiderte er. »Aber ich kenne Krissys Gesicht gut, und ich möchte es lieber selber machen.«
Ich kenne Krissys Gesicht gut. Ich kenne van Goghs Blick über Arles gut, weil es über meinem Bett hängt und ich mich jeden Tag aufs Neue in seiner Schönheit verliere. Ob er mir vielleicht doch mehr Beachtung schenkt, als ich mir eingestehen will?
»Sehen Sie nur«, sagte Ann. »Sie hat überhaupt keine Falten.«
»Ihr Großvater war Italiener«, erklärte Chris. »Ich glaube, das ist der Grund.«
Er erinnert sich daran, dachte ich, und plötzlich sah ich es glasklar vor mir: Er versteht, wo ich herkomme.
Chris, ich liebe dich.
Was? Wo kam denn jetzt dieser Gedanke auf einmal her? Sein Drehhocker quietschte, als er aufstand, die Schale ausspülte und sie in das Sterilisiergerät stellte. Ich beobachtete jede seiner Bewegungen, lehnte mich aber auf der Untersuchungsliege wieder zurück, als er erneut zu mir trat. »Brennt es?«
»Nein.«
»Gut. Juckt es?«
»Nein.«
»Hervorragend. Entspann dich jetzt, okay?«
»Ja.«
»Ann, wir kommen hier alleine zurecht.« Ich hörte, wie sie hinausging. Chris rollte auf seinem Drehhocker dichter an mich heran.
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