Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
bisschen schusselig?«
Grandma blickte mich scharf an. Ich zuckte mit den Schultern. »Na ja, vielleicht …« Ich warf ihr einen Blick zu. »Doch, Grandma, das warst du. Vor allem seit Grandpa nicht mehr da ist.«
Grandma gab sich geschlagen. »Na ja, vermutlich.«
Das Ergebnis des Abstrichs, sagte der Arzt, würde uns in den nächsten Tagen mitgeteilt, aber bei Grandmas Vorgeschichte gäbe es keinen Grund zur Beunruhigung. Als wir hinausgingen, sagte ich zu Grandma: »Das schreit ja förmlich nach Eiscreme!«
»Es ist doch noch Winter.«
Ich blieb stehen und schüttelte spöttisch den Kopf. »Würdest du einen Schokobecher zurückgehen lassen, nur weil ein bisschen Schnee daraufliegt? Was würde wohl dein Mann dazu sagen …«
Sie gab nach und fragte mich, ob ich ihr Auto fahren könne, weil die Straßen immer noch ein bisschen glatt seien. »Nein, warte mal«, sagte sie und blieb erneut stehen. »Wie willst du nach Hause kommen? Hat Jeff dich nicht bei mir abgesetzt?«
»Er kommt mich auch wieder abholen.« Ich fuhr also Grandmas Auto, und wir hielten beim Drive-in Schalter, um uns Eiscreme zu holen. »Weißt du, Grandma, nur eins könnte diesen Nachmittag noch besser machen.«
»Noch besser!«, entgegnete sie lachend. »Hast du den Besuch beim Arzt so aufregend gefunden?«
»Immerhin hat sich herausgestellt, dass alles okay ist, oder?« Ich schiebe den Fahrersitz ein Stück zurück.
»Und was würde diesen Nachmittag noch besser machen?«
»Ein Besuch bei Grandpa.«
Sie saß ganz still.
»Möchtest du ihn gerne besuchen?«
»Ich weiß nicht.« Sie hielt ihr Eis in der Hand und wackelte mit den Füßen. »Ich hatte es so eilig, zum Arzt zu kommen, dass ich statt meiner Winterstiefel diese Mokassins angezogen habe.«
»Okay, hör zu. Meine Füße sind ein bisschen größer als deine, aber wenn es dir nichts ausmacht, dass ich deine Schuhe ein klein wenig nass mache, kannst du meine Stiefel nehmen.«
Sie blickte mich verwirrt an. »Du willst meine Schuhe anziehen?«
»Ja.«
Wir tauschten die Schuhe erst am Friedhof, damit meine Füße weniger Zeit hatten, sich zu beschweren. »Die sind aber hübsch«, meinte Grandma, als sie meine Wanderschuhe zuschnürte. Ich trage sie im Winter ständig, weil sie wasserdicht sind und warm. Meine Fersen ragten über Grandmas weiße Frühlingsmokassins hinaus, aber ich achtete sorgfältig darauf, sie nicht zu zerdrücken, als ich zur Beifahrertür ging, um Grandma hinauszuhelfen.
Sie hakte sich bei mir ein. Wenn sie das tat, musste ich immer daran denken, dass ich mich an dem Tag, als ich aus Italien angekommen war, um mich von Grandpa zu verabschieden, noch nicht einmal getraut habe, ihre Hand zu ergreifen. Wir sind uns seitdem sehr viel nähergekommen.
Vorsichtig ging sie durch den Schnee, wobei sie von Zeit zu Zeit aufblickte, um zu sehen, wie weit wir noch von Grandpas Grab entfernt waren. »Keine Sorge, Grandma, mit meinen Wanderschuhen kannst du mitten durch den Matsch laufen. Sie werden nicht nass.« Sie stützte sich schwerfällig auf mich, während durch meine Strümpfe die nasse Kälte an meinen Beinen emporkroch. Mit bloßen Händen schob ich den Schnee von Grandpas Grabstein, und wir standen schweigend an seinem Grab.
Um mich von der Kälte abzulenken, ließ ich meine Gedanken wandern. Was denkt sie wohl? fragte ich mich. Ob es eigentlich mehr als ein Mythos ist, dass alte Ehepaare ein äußerst aktives Sexleben haben? Es klingt vielleicht seltsam, aber ich fragte mich, ob Grandma die Intimität mit Grandpa vermisste. Ob sie auch weint, weil ihr seine Umarmungen, seine Berührungen, sein Atem an ihrem Mund fehlten. Mir fiel ein, dass ich etwas von einer Autorin – ich weiß nicht mehr, von wem – gelesen habe, die sagte, dass sie in New York nur zur Maniküre gegangen sei, damit jemand sie berührte. Wenn wir Frauen allein leben, schmerzt es, nicht umarmt oder geküsst zu werden. Ich hielt meine Grandma ein bisschen fester an mich gedrückt.
Die Fahnen um den Friedhof herum sind eingezogen worden, um sie vor dem Winter zu schützen, und es war nicht zu übersehen, dass an diesem Ort das Leben wirklich zu Ende ist. Hier ruht Grandpa so, wie Grandma es für ihn gewünscht hat, dachte ich. In Frieden. Blinzelnd blickte ich auf den Schnee und fragte mich, wer von uns beiden, Grandma oder ich, die Unterstützung des anderen wohl mehr brauchte. Ich laufe in Grandmas Schuhen . Ob sie sich in meinen Schuhen wohl jetzt sicherer fühlte? Wir standen ganz
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