Liebe ist staerker als Haß
anheben können. Sie beugte sich über ihn und zog. Sie versuchte es, indem sie ihm die Arme um den Hals legte. Sie half mit der Schulter nach. Doch er lag unbeweglich da und hatte sie noch nicht einmal bemerkt.
»Aufwachen!« rief sie laut.
Er bewegte sich, doch seine Augen blieben geschlossen.
Zared versetzte ihm einige Backenstreiche, und schließlich öffnete er die Augen. »Ich will dir diese Binde umlegen. Du mußt den Oberkörper anheben.«
»Hilf mir!« sagte Tearle mit schwacher Stimme.
Sie sah ihn voller Abscheu an. Dann beugte sie sich über ihn und half ihm, sich aufzurichten. Er schien sehr schwach zu sein. Es endete damit, daß er sich an sie klammerte und den Oberkörper schwer gegen den ihren fallen ließ. Zared hatte Schwierigkeiten, ihm den Verband um den Brustkorb zu wickeln, und vom Heben tat ihr der Rücken weh. Aber sie schaffte es. Die Wunde war verbunden.
»Leg dich jetzt wieder hin!« sagte sie. Der Mann schien wirklich strohdumm zu sein. Sie mußte ihm die einfachsten Dinge sagen. Sie half ihm, sich wieder zurücksinken zu lassen. Er tat nichts ohne ihre Hilfe. Und als er schließlich wieder lag, mußte sie seine
Arme, die er um ihren Körper geschlungen hatte, mit Gewalt lösen.
»Jetzt ist es in Ordnung«, sagte sie. »Es ist keine sehr tiefe Wunde. Bleib hier und ruh dich aus! Bald wird dein Bruder hier sein. Er ist immer in der Nähe der Peregrine-Besitzungen.« Als sie aufstehen wollte, erfaßte er ihre Hand.
»Du willst mich verlassen und mich hier allein sterben lassen?«
»Du stirbst nicht«, sagte sie angeekelt. Vielleicht hatte man diesen Howard als Kind gar nicht weggeschickt, weil er so verderbt, sondern weil er ein solcher Schwächling gewesen war, daß seine Familie sich seiner schämte.
»Wein«, flüsterte er. »An meinem Pferd ist eine Flasche Wein befestigt.«
Zared knirschte mit den Zähnen. Bestimmt suchten ihre Brüder jetzt fieberhaft nach ihr, und sie mußte für einen plärrenden Howard Kindermädchen spielen. Widerwillig ging sie zu dem Pferd, schnallte die harte Lederflasche ab und reichte sie ihm. Aber er war zu schwach, um sich ohne Zareds Hilfe aufzurichten. Ja, er konnte nicht einmal allein die Flasche an die Lippen setzen.
Das soll der Feind sein? dachte Zared. Vor diesem feigen, schwachen, zitternden erwachsenen Kind soll man sich fürchten?
Sie nahm ihm die Weinflasche vom Mund. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie. »Ich lasse die Flasche hier und ...
»Bleib noch!« sagte er und umklammerte ihre Hand. »Bitte, bleib bei mir! Ich habe Angst.«
Zared verdrehte die Augen zum Himmel. Sie setzte sich auf die Erde, und er lehnte sich an sie, als könnte er allein nicht aufrecht sitzen.
»Wenn du nicht hierbleibst, muß ich sterben.«
»Du wirst nicht sterben«, erwiderte sie grob. »Faß doch endlich Mut! Die Blutung hat aufgehört, und außerdem muß ich jetzt gehen. Meine Brüder suchen nach mir, und es ist besser, wenn sie ... mich hier nicht finden.«
»Ach so, du meinst, mit einem Howard. Weißt du, daß ich ein Howard bin?«
»Wir wissen eine ganze Menge von den Howards. Du bist unser Feind.«
Er seufzte und lehnte sich schlaff gegen sie. »Ich bin bestimmt nicht dein Feind.«
»Wenn du ein Howard bist, dann bist du der Feind aller Peregrines.«
»Aber du bist doch zu mir zurückgekommen.«
»Ich kam nur zurück, um einen Krieg zu verhindern. Wenn du gestorben wärst, hätte dein Bruder meine Brüder angegriffen.«
Sie versuchte sich ihm zu entziehen, aber er hielt sie durch sein Gewicht fest.
»Du bist nur deiner Brüder wegen zurückgekommen?«
»Warum denn sonst?« fragte sie ehrlich erstaunt.
Er führte ihre Hand an seine Lippen. »Vielleicht weißt du wirklich alles über uns, aber es sieht so aus, als wüßten wir nicht alles über die Peregrines. Wir haben nicht gewußt, daß der jüngste eine Tochter und zudem eine schöne Frau ist.« Er küßte erst eine Fingerspitze, dann die nächste.
»Bist du nicht auch deshalb zurückgekommen, weil wir uns geküßt haben?«
Es dauerte eine Weile, bis Zared den Sinn der Worte erfaßt hatte. Aber dann mußte sie lachen. Immer noch lachend, machte sie sich von ihm frei, erhob sich und sah auf ihn hinunter.
»Meinst du, mich verlangte nach einem Kuß? Glaubst du, daß ich für einen Kuß vergesse, wie deine Familie vier meiner Brüder getötet hat? Hältst du mich für so ehrlos, daß ich meine Familie verrate, weil ein Howard mir etwas geschenkt hat? Ich könnte dir jetzt die Kehle
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