Liebe, lebenslänglich
Sprache und müssen um Verständigung ringen, und nicht immer bemühen sich beide Seiten mit gleichem Elan. Manche sind sich mühelos nah, andere wie Katz und Maus. Was mich beruhigt hat: Fehler werden in jedem Fall gemacht. Und trotzdem finden fast alle Kinder den Weg ins Leben, mal nach dem Beispiel der Eltern, mal in der Gegenrichtung, oft in ganz eigener Regie.
Man sucht sich seine Eltern nicht aus, so wenig wie seine Kinder. Aber es sind die Eltern, die sich für ein Kind entscheiden. Werdende Väter oder Mütter wissen, dass sie einen lauten, hungrigen Unbekannten in die Arme gelegt bekommen, dessen Hilfsbedürftigkeit und dessen Ansprüche sie an die Grenzen ihrer Kräfte bringen können und darüber hinaus. Sie wissen, dass sie sich einem Wesen in die Hand geben, das sich rasant verändert, viel schneller und radikaler als sie selbst, und wer weiß, wohin. Kaum haben sie sich an ein Kind gewöhnt – an das Baby, die Schülerin, den Halbwüchsigen – schon ist es Erinnerung, und jemand Neues gleichen Namens steht vor ihnen. Der sie womöglich beschimpft, beschuldigt und infrage stellt und für den sie sich zuständig fühlen: für jede Dummheit, jeden Misstritt, jedes Husten, jede Katastrophe. Enttäuschungen sind vorprogrammiert.
Die Frage, warum Menschen trotzdem Kinder haben, steht hinter allen Geschichten in diesem Buch. Die Antworten, die ich von den befragten Müttern und Vätern bekommen habe, waren breit gestreut. Bei den ältesten Gesprächspartnern entfaltete das biblische Gebot noch Wirkung, fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Bei den jüngeren wurden Kinder als Sinnstifter begriffen, als Gegengift zu überdesignten Wohnungen und Leben. Die Väter präsentierten sich manchmal in der passiven Rolle: Der Wunsch sei von den Müttern ausgegangen. Stets war das Ticken der Norm hörbar, dass Kinder eben zum Leben gehören. Nicht zuletzt wurden sie als Spiegel und Vermittler des eigenen Selbst gesehen.
Die grundlegende Antwort, glaube ich, liegt in den Lach- und Sorgenfalten der Väter und Mütter. Alle haben sie sich auf ein Abenteuer mit offenem Ausgang eingelassen. Wie bei allen Abenteuergeschichten dreht sich auch in den Geschichten dieses Buches alles um Momente großen Glücks. Doch die sind oft banal und schnell erzählt. Viel mehr Raum nimmt die Schilderung der Gefahren und Hindernisse ein. Seefahrer bekommen im Laufe der Zeit verwitterte Gesichter, Eltern zerfurchte. Nicht nur Eltern prägen, auch Kinder prägen, deshalb wohl lassen Menschen sich auf sie ein. Eines aber unterscheidet dieses Abenteuer von allen anderen, auf die sich Menschen miteinander einlassen können: Es gibt kein Zurück. Die Verbindlichkeit zwischen Eltern und Kindern ist radikal und die Grundlage für die tiefsten Gefühle überhaupt, die schönsten und die schmerzhaftesten. Wer Vater oder Mutter wird, sucht Liebe lebenslänglich.
DIRK NIEPOORTS
LANGER ATEM
Er zweifelte lange, denn er litt an mangelndem Selbstbewusstsein neben seinem erfolgreichen Vater. Und als Daniel Niepoort (21) sich endlich entschieden hatte, dass auch er Winzer werden wollte, sagte sein Vater nur: Ich werde dir nicht helfen. Für den Sohn war diese Reaktion unverständlich, für Dirk Niepoort (49) war sie ein Zeichen von Vertrauen.
Wenn Dirk Niepoort an einem Tisch mit vielen Leuten sitzt, mit Weinkritikern und Veranstaltern von Weinevents etwa, dann ist er der Leiseste und gleichzeitig das Zentrum. Er trägt bequeme Kleidung, gelockte, unordentliche Haare, manchmal ein feines Lächeln. Er hat nichts Bestimmendes in seinem Auftreten, er hat überhaupt kein Auftreten, vielmehr ist er das, was man wohl als natürliche Autorität bezeichnen würde.
Dass Dirk Niepoort kein Freund des Flüchtigen ist, mag bei ihm in der Familie liegen. Das Unternehmen Niepoort Vinhos, das er in der fünften Generation leitet, existiert seit 1842. Es bringt immer noch Flaschen auf den Markt, die man für vollen Genuss erst nach einem halben Jahrhundert öffnet. Selbstverständlich denkt Dirk Niepoort – der mit vollem Namen Eduard Dirk van der Niepoort heißt, Eduard nach seinem Großvater – über seine eigene Zeit hinaus. Seine Pläne, Ziele, Visionen seien weniger auf die nächsten vier Monate ausgerichtet als auf die nächsten vierzig Jahre, sagt er. Es arbeite in ihm ohne Unterlass, »meine Firma ist mein Leben und meine erste Liebe, mit allen Konsequenzen«.
Dirk Niepoort hat drei Kinder aus zwei Ehen, wobei vor allem die erste Ehe an seiner geringen
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