Liebe, lebenslänglich
Einmal bekam er einen Telefonanruf, sein Sohn habe eine Scheibe zerschlagen. Dirk Niepoort redete daraufhin mit Daniel, dieser bestritt die Tat. Er glaubte ihm. »Was, du glaubst mir?«, habe Daniel ihn überrascht gefragt. »Ja, wenn du mir sagst, du hast es nicht getan, dann glaube ich dir«, habe er ihm geantwortet.
Und er hoffe, sagt Dirk Niepoort, dass Daniel auch ihm vertraue, dass er ihm die Sicherheit vermitteln könne, für ihn da zu sein. Sein eigener Vater habe ihn jeweils einfach ins kalte Wasser geworfen und sei dann weggegangen. Er habe wahrscheinlich hinter der Tür gestanden und ihn durch einen Spalt beobachtet. Er wäre bestimmt sofort herbeigerannt, wenn der Sohn am Ertrinken gewesen wäre. »Aber ich konnte nicht sicher sein, ich konnte es vermuten, hoffen, doch sicher war ich nicht.« Im Grunde habe ihn sein Vater mit in weißen Handschuhen verabreichten Ohrfeigen erzogen, so habe er das empfunden. »Das tat nicht weh, das waren gepolsterte Schläge oder ungeschickte Zärtlichkeiten, je nachdem, wie man es sehen wollte.« Auf jeden Fall wusste Dirk Niepoort nie, wo er stand, oder wie sein Vater zu ihm stand. Ob er ihm vertrauen konnte oder ob er ihn fallen lassen würde. Vielleicht war die Botschaft hinter dieser Art Erziehung, dass man nur sich selber trauen soll. Vielleicht glaubte sein Vater, so das Selbstvertrauen seines Sohnes zu stärken. Denn was immer er schaffte, er schaffte es ohne die Hilfe des Vaters.
Auch Dirk Niepoort will, dass sein Sohn es alleine schafft. Und tatsächlich war die für Daniel Niepoort vielleicht wichtigste Anerkennung sein ganz allein errungener Führungserfolg beim Militär. Dennoch suchte Dirk Niepoort in der Erziehung seiner Kinder einen anderen Weg als sein Vater. Er verlangt Eigenständigkeit, will aber zugleich fassbar sein. Er führt und leitet Daniel zwar durchaus an, doch an einer lockeren Leine.
»Ich weiß, dass ich meinem Vater vertrauen kann«, sagt Daniel Niepoort, »in jeder Lebenslage und besonders, wenn ich Mist gebaut habe.« Ein Lehrmeister in Australien wollte ihm einmal damit drohen, dass er seinem Vater erzähle, dass er sternhagelvoll gewesen war. Da hat Daniel Niepoort geantwortet: »Schon gut, aber mein Vater ist bereits informiert. Ich habe es ihm selbst gesagt.«
MEIN ERSTER, MEIN LIEBSTER,
MEIN TYRANN
Für Rolf Wanner (52) ist seine Mutter bis heute die wichtigste Person in seinem Leben. Er hilft ihr viel, trotz ihrer spärlichen Dankbarkeit. Für Maria Wanner (74) war er ein ungewöhnlich süßer Sohn – bis er zwölf Jahre alt wurde und ihr die Hölle heißmachte. Seither tanzen die beiden einen Tango der Enttäuschungen.
Will man von Maria Wanner, der Mutter, wissen, was sie erzieherisch im Rückblick anders machen würde, schießt ihre Antwort raketenschnell hervor: »Alles!« Das wird dann, nach einer kurzen Minute des Bedenkens, relativiert: »So einiges.« Fragt man sie, ob sie ihren Ältesten mit Stolz betrachte, bleibt sie die Antwort lachend schuldig und zeigt damit ihre ausgeprägte Lust an desillusionierenden Akzenten.
Bittet man Rolf Wanner, den Sohn, nach Versäumnissen zu fahnden in der mütterlichen Anleitung zum Leben, fällt ihm so ganz spontan nichts ein. Und ja, stolz ist er auf seine Mutter, sicher. Er schätzt zum Beispiel »ihren gesunden Menschenverstand«. Und hegt keinen Zweifel, dass die Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruht, wie sonst würde seine Mutter ihm anvertrauen, was sie persönlich beschäftigt, aber auch die Geschäfte des Alltags. Rolf Wanner sagt, sie rufe ihn bestimmt zwei-, dreimal die Woche an, weil sie wissen wolle, ob die Haftpflicht schon bezahlt oder was zu tun sei, wenn der Boiler leckt.
Nicht erst seit dem Tod des Vaters besetzt er die Rolle des innerfamiliären Katastrophenhelfers. Kaum war er alt genug, schrieb er die Rechnungen, die eigentlich sein diesbezüglich pflichtvergessener Vater hätte schreiben sollen. Ohne Rolf säße seine Mutter auf einem 250000-Euro-Haus auf Mallorca, das sie nie haben wollte und das ihr Budget ruiniert hätte. Doch nach einer sechsstündigen Gehirnwäsche durch zwei Immobilienmakler, denen ihr Mann als kraftvolles Echo Beistand leistete, unterschrieb sie – hungrig, durstig, nicht mehr ganz bei Trost – den Vertrag. Es brauchte Rolf Wanners Sachverstand im Verbund mit seiner Hartnäckigkeit, um die Folgen dieser Tat klein zu halten. Und wer, wenn nicht er, hätte die Idee verwirklichen können, einen Teil des Elternhauses an Dritte zu
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