Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
Dann rief eines Tages ein Mann namens Sidney an, der für einen Verlag arbeitete und fragte, ob wir wüssten, wie weit Dad mit seinem Fünfjahresplan -Manuskript gekommen sei, bevor er starb. Wir hatten Dads Buch und seine Absicht, es zu veröffentlichen, ganz vergessen. Ich fuhr seinen Computer hoch und fand viele Textdokumente. Er hatte die Dateien in nummerierten Ordnern abgespeichert, jeder Ordner enthielt Notizen, die ein Kapitel ergaben. Ich zeigte Mum die Texte, und wir waren uns einig, dass wir sie sortieren und zu einem Buch zusammenfassen sollten, um zu sehen, ob der Verlag dann immer noch Interesse hatte. Also machten wir uns an die Arbeit. Jeden Nachmittag setzten wir uns in Dads abgedunkeltes Arbeitszimmer, sichteten seine Notizen und versuchten, daraus einen Text zu formulieren. Ich stand dabei wie unter Hypnose. Jeden Tag erfuhr ich mehr über die Vorteile eines Fünfjahresplans, weshalb es wahrscheinlich kein Wunder ist, dass ich mir schließlich meinen eigenen machte und daran glaubte wie an das Evangelium. Ich dachte, es funktionierte auch bei Mum, weil sie öfter aus dem Haus ging. Sie ließ zwar nicht die Puppen tanzen, sondern besuchte nur den Friseur und das Fitnesscenter, aber ein paar Monate lang machte sie einen gefestigteren Eindruck.
Dann erhielten wir wieder einen Anruf. Eine Frau mit schottischem Akzent bat mich, meiner Mutter auszurichten, ihr Vater sei gestorben. War meine Mutter zuvor schon in sich zurückgezogen, war sie danach wie gelähmt. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass sie das Haus seit diesem Anruf niemals wieder verlassen hat.
Heute jedoch hat sie es verlassen, um zu mir zu kommen. Das ist doch etwas, oder nicht? Das ist wirklich mal etwas ganz anderes.
Ich bin immer noch bei Mum. Ich bin schon den ganzen Tag hier. Jetzt ist es spät, und ich sitze bei eingeschaltetem Licht in meinem Jugendbett. Ich habe damals bei meinem Auszug ganz schön versagt. Ich sollte Mum nicht die Schuld an dem Chaos im Haus geben, nachdem ich selbst ein Zimmer voller Krempel hinterlassen habe. Schon komisch, ich weiß noch, dass ich mich nach dem Umzug in die neue Wohnung frei von allem Ballast fühlte, dabei habe ich ihn in Wahrheit nur auf meine arme Mutter abgeladen. Unter dem Bett lag sogar noch Dads altes Ramones-T-Shirt. Ich habe es gerade an.
An der Wand hängt ein eingerissenes Poster von Nina Simone, der Schreibtisch, an dem ich saß, als ich Dad zum letzten Mal sah, steht immer noch an seinem alten Platz, und im Schrank hängen Mums alte Tanzkleider. Ich ziehe die obere Schublade meines Nachttisches auf. Sie ist voll mit billigen Schminkutensilien. Ich öffne die Schublade darunter – aller möglicher Plunder und richtig hässlicher Modeschmuck. Ich ziehe die dritte auf … noch mehr Schund. Trotzdem taste ich diese Schublade gründlich ab, bis meine Hände finden, wonach ich gesucht habe. Ich drücke auf den weichen Einband meines alten Tagebuchs und frage mich, ob ich es herausnehmen oder die Vergangenheit in der unteren Schublade ruhen lassen soll. Da Neugier bekanntlich Vorsicht schlägt, habe ich es schon in der Hand. Es ist ein sehr hässliches Tagebuch. Ich frage mich, warum ich es damals gekauft habe. Der Einband ist orangefarben mit giftgrünen Blumen und flauschig. Kein feiner Teddyplüsch, sondern eher kratzig wie die billigen Stofftiere, die man auf dem Jahrmarkt gewinnen kann.
Ich schlage das Tagebuch auf. Ich habe es nur ein paar Wochen lang geführt, und dann ist Dad gestorben, also ließ ich das Schreiben wieder sein.
MEIN ERSTES TAGEBUCH!!! ICH WERDE DARIN DOKUMENTIEREN, WIE ICH VON DER SCHULE ABGEHE (ENDLICH! GOTT SEI DANK!!) UND EINEN LUKRATIVEN PLATTENVERTRAG VON SONY BEKOMME .
Ich starre auf die Großbuchstaben. Es kommt mir vor, als würde mich mein optimistisches jüngeres Ich anbrüllen. Ich weiß nicht, ob ich imstande bin weiterzulesen. Ich weiß nicht, ob ich mehr von dieser Zuversicht ertragen kann. Aber natürlich lese ich weiter. Ich blättere die Seite um und tauche sofort in den Text ein.
ICH HABE EINE EINLADUNG FÜR DEN BALL !!! Habe aber ein schlechtes Gewissen wegen Wendy, weil wir eigentlich zusammen gehen wollten, als Blues Brothers verkleidet. Das ist der Lieblingsfilm von ihrem Vater, und er hat gesagt, er besorgt uns die Kostüme. O Gott, er wird bestimmt auch enttäuscht sein. Was soll’s, zurück zum Wesentlichen. Danny Saunders hat mich gefragt. Er ist echt heiß!!! UND er hatte ein Ramones-T-Shirt an. Das habe ich Dad
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