Liebe, Lust und Lesebrille
hat es schon ein bisschen schwer. Meistens sind auch schon die ersten Zipperlein aufgetaucht, mancher hat vielleicht schon »Rücken« oder »Blutdruck«. Mal ganz von den lästigen körperlichen Mutationen in Richtung Waschbärbauch und Krähenfüße abgesehen. Auch wenn sich die Generation 45+ durchaus manchmal noch jungfühlt: Sie ist es nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so richtig. Über diese Tatsache können auch die coolsten Turnschuhe, getönte Haare und locker sitzende Hüftjeans leider nicht hinwegtäuschen.
Und trotzdem: Es gibt jetzt viele gute Gründe, um einen guten Champagner springen zu lassen: Wir haben einiges erreicht! Wir leben! Wir haben Krisen überwunden und an uns gearbeitet! Wir sind gereift und haben dazugelernt! Wir haben alte Ängste überwunden! Diese wichtigen, ganz persönlichen Errungenschaften unseres Lebens sollten wir auf jeden Fall unbedingt angemessen würdigen.
Qualitätsbewusst und kaufkräftig: die »Best Ager« als Lieblings-Zielgruppe der Marketingstrategen
Nun sind wir also in einer Lebensphase angekommen, in der wir uns neu sortieren müssen: Was ist uns wichtig, was weniger? Was ist uns bisher gelungen, was nicht? Diese sehr persönliche Bilanzierung kann je nach individueller Geschichte und Offenheit unterschiedlich ausfallen und ist übrigens völlig unabhängig von äußerlich sichtbaren Zeichen des Erfolges. Da kann jemand noch so viel Geld, einen tollen Job oder ein großes Haus haben: Wenn dieser von allen beneidete Erfolgsmensch eine innerliche Leere spürt, wird er sich kaum reicher fühlen als jemand, der zwar finanziell schlechter gestellt ist, sich aber einen wichtigen persönlichen Lebenstraum erfüllt hat.
Vermutlich ist diese vorläufige Lebensbilanzierung für niemanden ausschließlich ein Fest der Freude. Denn da gibt es ja fast immer doch ein paar Wermutstropfen. Was haben wir nicht alles verpasst! Was hätte noch toller, besser, schöner sein können! Und was wäre vielleicht aus mir geworden, wenn …
Nein, das ist kein Grund zum Verzweifeln! Im Gegenteil: Nutzen wir diese innere Auseinandersetzung doch einfach, um uns noch besser kennenzulernen und vielleicht neue Prioritäten zu setzen. Denn eines ist sicher: Es kommen spannende Zeiten auf uns zu. Zumindest dann, wenn wir die Chancen nutzen, die sich uns jetzt bieten.
Allerdings wird es uns in der Gesellschaft nicht gerade besonders leicht gemacht, selbstbewusst, fröhlich und stilvoll älter zu werden. Ehrfurcht vor den weisen Älteren wie bei manchen Naturvölkern? Pustekuchen. Altern ist in unserem Kulturkreis lediglich das Synonym für sukzessiven geistigen und körperlichen Verfall, der am besten möglichstlange herausgezögert und vertuscht wird. »Älter werde ich später« heißt es dann konsequenterweise – wie das Buch der vermeintlich ewig jungen Schauspielerin Iris Berben. Und bewundert wird dann natürlich, wer jünger aussieht, als er ist. »Mit diesen 10 einfachen Stylingtricks können Sie locker ein paar Jahre wegmogeln und jünger aussehen« 1 , lesen wir auf der Internetseite einer beliebten Frauenzeitschrift. Und auch BILD kennt natürlich unsere Achillesferse: »So wirken Sie jünger, als Sie wirklich sind.« Die Botschaft: Jünger auszusehen ist erstens erstrebenswert und zweitens ein Kinderspiel.
Immerzu werden wir mehr oder weniger subtil dazu angehalten, unser wahres Alter zu verbergen. Als sei es ein Grund, sich zu schämen, dass man älter als 45 ist! Kein Wunder, dass Hyaluron-Cremes zur Faltenminimierung regen Absatz finden. Schade zwar, dass die Stiftung Warentest in einer Untersuchung von Anti-Aging-Produkten zu dem ernüchternden Ergebnis kam, dass der Verjüngungseffekt »mit bloßem Auge kaum sichtbar und oft schon am nächsten Tag vorbei« 2 ist. Der entsprechende Kosmetikmarkt boomt dessen ungeachtet fröhlich weiter. Auch Schönheitschirurgen profitieren von dem allgegenwärtigen Jugendwahn. Falten- und bauchspeckfrei in die späteren Jahre, warum denn nicht? Ob Brustvergrößerung, Augenlidkorrektur, Facelifting, Bauchdeckenstraffung oder Schamlippenverkleinerung: Immer mehr Menschen, vor allem Frauen, lassen an sich herumschnipseln in der Hoffnung, anschließend jünger und attraktiver auszusehen und sich vor allem dann auch so zu fühlen. Auch Botox gilt mittlerweile nicht mehr nur in Promikreisen als akzeptable Methode der Selbstverschönerung.
Ein Ende des Jugend-, Perfektionierungs- und Schönheitswahns ist leider nicht in Sicht. Im Gegenteil: Heidi
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