Liebe, Lust und Lesebrille
leben, fällt manchen Frauen zunächst schwer. Sie werden dann aktionistisch und laden sich neue Arbeit auf, die ihnen wiederum das Gefühl gibt, unentbehrlich zu sein.
Wie eine Mutter diese gravierende Umbruchphase bewältigt, hängt stark mit ihren früher gemachten Bindungserfahrungen zusammen. Und ist abhängig von der Rolle, mit der sie sich in den letzten Jahren überwiegend identifiziert hat. So können sich Frauen, die schon seit früher Kindheit ihren Selbstwert insbesondere dadurch bezogen haben , gut für andere zu sorgen, durch den Verlust dieser Aufgabe das Gefühl entwickeln, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Andere wiederum, die sich für die Kinder »aufgeopfert« haben, können manchmal schwer damit umgehen, dass ihre »mütterliche Opfergabe« nunmehr abgelehnt wird, und reagieren wütend und enttäuscht. Diese Reaktionen sind übrigens ganz unabhängig von Bildungsgrad und beruflicher Situation. Selbst eine voll erwerbstätige Frau kann nach dem Auszug eines Kindes in eine tiefe Krise stürzen. Und umgekehrt kann eine Mutter, die bis dato einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachging, sehr froh über diese Veränderung sein. Es ist also weniger von den äußeren Umständen abhängig, wie jemand solche schwierigen Übergänge gestalten kann. Es hat eher mit den eigenen Erlebnissen, Ängsten und dem eigenen Selbstverständnis zu tun.
Die erwachsen werdenden Kinder bewusst loszulassen, ist vermutlich eine der schwierigsten Aufgaben von Frauen in der Lebensmitte. AuchVäter hadern manchmal damit, ihre älter gewordenen Kinder ziehen zu lassen. Grob verallgemeinernd kann man wohl sagen, dass es Eltern – egal, ob Vater oder Mutter – insgesamt dann leichter fällt, die Kinder aus dem Haus gehen zu sehen, wenn sie ein gutes und geklärtes Verhältnis zueinander haben. Zu enge, verwickelte oder symbiotische Bindungen sowie sehr konflikthafte Beziehungen erschweren sowohl dem Jugendlichen als auch den Eltern das gegenseitige Loslassen.
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Loslassen ist keine Kunst. Sondern eine Haltung, an der Sie bewusst arbeiten können
Wenn es Ihnen schwerfällt, Ihre Kinder »loszulassen«, könnten Sie folgende Fragen in Ihrem Herzen bewegen:
Was befürchten Sie? Haben Sie Angst, jetzt oder bald nicht mehr gebraucht zu werden, nicht mehr wichtig zu sein? Wenn das so ist: Was löst diese Befürchtung für Gefühle aus?
Kommen unangenehme Gefühle hoch oder werden schwelende Konflikte deutlich, die vorher keinen Platz hatten? Fürchten Sie sich davor, diese anzusehen? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Und andererseits: Was könnte bestenfalls passieren?
Fürchten Sie, dass alte Konflikte mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin wieder aufbrechen, auf die Sie keine »Lust« haben, weil sie Ihnen wehtun oder Sie nerven?
Ist es schmerzhaft für Sie, die Ära »Familienleben mit Kindern« abzuschließen? Was macht Sie daran so traurig? Und wer oder was könnte Sie trösten?
Bedenken Sie bitte, dass dieser »innere Verabschiedungsprozess« eine Weile dauern kann und Sie dabei verschiedene Phasen durchlaufen. Rechnen Sie nicht damit, dass Sie eine solch tiefgreifende Veränderung mal so nebenbei »abhaken« können. Trauerprozesse (und nichts anderes ist das Loslassen der großen Kinder doch!) verlaufen nicht linear, sondern in Schüben. Seien Sie also nicht besorgt, wenn es mal wieder vermeintliche Rückschläge gibt. Geben Sie sich also Zeit, und haben Sie viel Geduld mit sich!
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Exkurs: Was heißt schon »Lebensmitte«?
Da Frauen immer häufiger erst mit Ende 30 oder sogar Anfang 40 Kinder bekommen, sind diese dann manchmal noch recht klein, wenn sich die Wechseljahre ankündigen. Diese neue Entwicklung wirbelt unsere herkömmliche Vorstellung von der klassischen midlife crisis gehörig durcheinander. Denn auch Mütter und Väter in der Lebensmitte, deren Kinder noch klein sind, werden durchaus von den Sinnfragen heimgesucht, befinden sich aber noch mitten in der Familienphase. Da heißt es dann: »Ich habe schon im Job einiges erreicht, ich wollte zwei Kinder – die hab ich jetzt. Und nun?« Manchmal verschiebt sich die Krise dann aber auch einfach zeitlich nach hinten: Wir werden eben immer älter. 60 ist das neue 40. Und dann kommen die Krisen der Lebensmitte eben manchmal auch eher im dritten Lebensviertel. Was man unter »Lebensmitte« versteht, ist also relativ und insofern unabhängig von dem tatsächlichen Lebensalter. Ob jemand unter einer midlife crisis leidet, kommt also weniger auf das
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