Liebe, Lust und Lesebrille
ist.« 7
Dass diese Verunsicherung eine zusätzliche Belastung ist, liegt auf der Hand. Denn dann stellt sich die bittere Frage: »Nun habe ich die ganzen Jahre hart gearbeitet, jetzt werde ich abserviert und bekomme wegen meines Alters vielleicht noch nicht mal mehr einen neuen Job.« Dazu gesellt sich ein schales Gefühl der Sinnlosigkeit und vielleicht sogar Bitterkeit. Das Resümee heißt dann nicht: »Ich habe Erfolg, was nun?« Sondern: »Und wie komme ich jetzt über die Runden? Wie kann ich jetzt meine/unsere Existenz sichern?«
So betrachtet kommt es einem doch glatt so vor, als sei die klassische männliche midlife crisis der 70er und 80er Jahre ein echtes Luxusproblem gewesen. Vielleicht sollten wir die Krise in der Lebensmitte auch tatsächlich so verstehen: Als erstklassige und besondere Chance, weiter an uns zu arbeiten und zu wachsen. Das gelingt, wenn wir bewusst aus dem gefühlten Jammertal herauswandern und versuchen, neue Berge zu erklimmen. Diese müssen natürlich weder steinig noch besonders hoch sein: Eine neue Aussicht garantieren sie trotzdem.
Das geht auch, wenn man sich eine neue berufliche Zukunft aufbauen muss, auch wenn das freilich sehr viel mühseliger ist. Es kann sogar dazu führen, dass man endlich Träume verwirklicht, die man vorher vernachlässigt hat. Endlich noch mal eine Weiterbildung machen oder die Selbstständigkeit wagen – das machen immer mehr Menschen in den mittleren Jahren manchmal notgedrungen, aber oft auch mit großem Interesse und Freude. Ein bisschen Mut gehört freilich dazu. Und die Bereitschaft, sich ernsthaft die Fragen zu stellen: Was will ich? Worauf lege ich besonderen Wert? Und was ist mein nächstes Ziel?
Wer bin ich heute, und wenn ja, warum? Freundlich bilanzieren
In der Lebensmitte fangen viele Menschen nahezu unwillkürlich an, eine (vorläufige) persönliche Lebensbilanz zu ziehen: Wer bin ich geworden? Und wer wollte ich ursprünglich mal werden? Wo sind meine Träume geblieben? Kommt da noch was oder soll das jetzt alles gewesen sein?
Nun werden wir gezwungen, uns inmitten allen hektischen Treibens endlich mal wieder mit uns selbst zu beschäftigen. »Wie geht es mir gerade in meinem Leben?« ist nämlich eine Frage, mit der sich viele Menschen freiwillig gar nicht so gerne beschäftigen. Das ist verständlich, denn diese Frage ist ja durchaus schwierig zu beantworten, weil das Leben komplex ist und die eigene Befindlichkeit nicht wirklich in einen einzigen Satz passt.
Dazu kommt, dass man sich eventuell Gedanken machen müsste über Beziehungen oder Zustände, mit denen man sich eigentlich lieber gar nicht beschäftigen möchte. Warum schlafende Hunde wecken, wenn es doch einigermaßen läuft?
Es sind aber ja gerade die Themen, die mit großer Abwehr behaftet sind, an denen wir am meisten über uns selbst lernen könnten. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, wenn wir uns verstehen wollen und immer mehr zu demjenigen Menschen werden wollen, der wir sein könnten, dann sollten wir auch mal einen Blick in die verborgenen Winkel und Ecken unserer Seele werfen. Auch, wenn uns das manchmal schwerfällt.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Sich belastende und unbequeme Themen vom Hals halten zu können, ist eine durchaus überlebenswichtige Fähigkeit. Es wäre um den Menschen schlecht bestellt, wäre er nicht in der Lage, zumindest vorübergehend sein psychisches Abwehrsystem einzuschalten. Er liefe ja nahezu schutzlos durch die Gegend. Das wäre doch grauenvoll! Insofern ist es eine wunderbare Einrichtung der Psyche, dass sie sich durch bestimmte Abwehrmechanismen vor allzu viel Einflüssen und Schmerzen schützen kann.
Wer allerdings ständig vor seinen eigenen unbearbeiteten Themen und Problemen davonläuft, bleibt wie ein Hamster in seinem Rad gefangen. Veränderung, Wachstum oder Befreiung aus bestimmten überholten Mustern kann dann nicht stattfinden. Oft sind es dann persönliche oder ganz normale Reifungskrisen wie die Krise in der Lebensmitte, die uns dazu zwingen, uns mit den verborgenen Seiten unserer Psyche auseinanderzusetzen. Weil in solchen Krisen altbewährte Abwehrmechanismen außer Kraft gesetzt werden, können dann neue Entwicklungsprozesse einsetzen. Vorausgesetzt, die Krise wird auch tatsächlich mutig als Chance genutzt und nicht nur als lästiges Übel bekämpft, etwa mit Alkohol, Medikamenten etc.
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Mut zum Hinschauen: Wie geht es Ihnen in Ihrem Leben?
Lassen Sie sich mit der Antwort Zeit. Ein knappes
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