Liebe mich! Liebe mich!
in ihre Richtung.
Er konnte sie bestimmt nicht sehen, denn sie saß im Schatten der Markise. Und selbst wenn, würde er sie nicht erkennen, nicht aus hundert Metern Entfernung und nach fünfzehn Jahren.
Warum spürte sie dennoch den Blick seiner blauen Augen so deutlich, als stünde er direkt vor ihr? Robin schloss die Augen, als könnte sie sich so gegen die Erinnerungen wehren, die sie überkamen.
Dabei hatte sie geglaubt, dass sie die demütigenden Erinnerungen für immer tief in sich verschlossen hatte, seit sie vor fünfzehn Jahren in die kleine Beaver gestiegen war, um die Stadt zu verlassen. Und nun genügte schon ein einziger Blick auf den Mann, der damals Zeuge ihrer Demütigung gewesen war, und sie sah alles wieder vor sich, als sei es gestern gewesen.
Doch all das war vor über fünfzehn Jahren geschehen, an dem Abend vor ihrer Abschlussfeier an der High School. Wie es Tradition war, hatten sich die einundzwanzig Schüler der Abschlussklasse am Fluss versammelt, um kurz vor Sonnenuntergang nackt hineinzuspringen.
Diese bestimmte Stelle am Flussufer lag zwölf Meilen von der Stadt entfernt und war nur über eine unbefestigte Straße zu erreichen, die vom Fluss her gut einzusehen war. So konnte man sicher sein, von ungebetenen Besuchern nicht überrascht zu werden.
Robin hatte sich schließlich auch überwunden und war mit ihren Freundinnen zu der kleinen Bucht marschiert, wo üblicherweise die Mädchen ins Wasser gingen. Die meisten ihrer Freundinnen fanden nichts dabei, nackt ins Wasser zu springen, aber Robin war die ganze Sache sehr peinlich gewesen. Doch dann hatten die Mücken und Bremsen sie so gepeinigt, dass sie sich schnell ausgezogen und in das eiskalte Wasser gestürzt hatte.
Ein Mädchen nach dem anderen war um die kleine Halbinsel herumgeschwommen, denn in der Nebenbucht badeten die jungen Männer. Robin konnte den hellen Feuerschein des Lagerfeuers sehen, und das Lachen und Kreischen der Mädchen drangen zu ihr hinüber. Als schließlich auch noch ihre Freundin Annie die Halbinsel umrundete, war Robin ganz allein. Sie watete in dem eisigen Wasser und umklammerte ihre kalten Schultern. Was sollte sie tun? Sie konnte sich doch nicht die ganze Nacht hier verstecken.
Alle schienen sich wunderbar zu amüsieren. Offenbar nutzten die Jungen die Situation nicht aus. Hin und wieder konnte Robin einen leuchtend bunten Ball oberhalb der Baumwipfel sehen.
Sie schwamm schnell zu der Spitze der Halbinsel, um kurz einmal um die Ecke zu spähen. Was die wohl machten? Vielleicht konnte sie sich irgendwie unauffällig unter die anderen mischen.
An dieser Stelle hingen einige dichte Büsche bis ins Wasser. Robin hielt sich an den Zweigen der Büsche fest und sah um die Ecke. Dahinten war Rose, und Seth und Alex bespritzten sie mit Wasser. Annie und drei andere Mädchen vergnügten sich im flachen Wasser nahe dem Ufer.
Autsch! Das war eine Mücke. Robin schlug sie weg und schaute um sich. Offenbar befand sie sich mitten in einem Mückenschwarm. Sie schlug um sich, tauchte dann unter und schwamm weiter hinaus. Als sie hochkam, um Luft zu holen, schwirrte der Mückenschwarm immer noch um sie herum. Wieder tauchte sie und entfernte sich weiter von der Spitze der kleinen Halbinsel.
Erst als sie das Gefühl hatte, die Lungen würden ihr platzen, kam sie wieder an die Oberfläche. Sie schnappte nach Luft und keuchte. Die Mücken waren nicht mehr zu sehen, aber sie hörte auch keine Stimmen mehr. Schnell sah sie sich um. Die Strömung hatte sie erfasst und weit von den kleinen Buchten weggetragen. Robin fluchte leise vor sich hin. Wäre sie bloß zu Hause geblieben!
Entschlossen kraulte sie gegen die Strömung an. Sie war eine gute Schwimmerin, dennoch kam sie kaum voran. Dichter am Ufer würde die Strömung sicher weniger stark sein, dafür gäbe es dort wieder reichlich Mücken.
Etwas kratzte ihren Fuß. Robin schrie auf. Es war nur ein Zweig, der sich von den Büschen am Ufer losgerissen hatte. Vorsichtig tastete sie nach unten, ob sie Grund hatte. Aber als sie den schlickigen Boden berührte, nahm sie den Fuß schnell wieder hoch. Wenn es hier nun Blutegel gab …
Robin wollte einen Bogen schwimmen und entfernte sich dabei erneut etwas weiter vom Ufer. Auf einmal hielt wieder ein Zweig ihren Fuß zurück, und sie versuchte sich mit einer heftigen Bewegung freizumachen. Ihr Knöchel schmerzte bei der schnellen Drehung, aber der kräftige Ast ließ sie nicht los. Sie holte tief Luft, tauchte und wollte
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