Liebe, Sex und andere Katastrophen
Selbstbewusstsein. Ich war mit einigen Mädels abends in einer gemütlichen Kneipe verabredet. Zum Glück hatte ich mir damals schon längst meine Freiheiten erkämpft, die nervige „Aber spätestens um 23 Uhr bist du wieder zu Hause-Nummer“ war passé und abgehakt. Ich konnte tun und lassen was ich wollte. Zufällig war nun an diesem Abend auch Nummer fünf in dieser Kneipe anwesend. Er unterhielt sich kurz mit uns, denn er kannte um ein paar Ecken meine beste Freundin, musste dann aber weg. Als er ging, nahm ich all meinen Mut zusammen und starrte und lächelte ihn einfach frech an. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Und er guckte genauso lächelnd zurück. In diesem kurzen Winz-Moment vergaß ich alles andere um mich herum, es geschah alles wie in Zeitlupe. Ein kribbeliger Schauer ging durch meinen Körper, und wäre es ein Film gewesen, hätte man kitschige Geigenmusik eingespielt. Bis Nummer fünf mit voller Wucht gegen die Tür rempelte. Denn die sah er ja nicht, weil er ja die ganze Zeit mich zurückanstarrte. Ich musste kichern, und ihm war es wahnsinnig peinlich. Er winkte verlegen und verschwand. Und um mich war es geschehen. Ich war ratlos, denn ich wusste nicht, wie und wo ich ihm wieder begegnen würde. Ich traute mich nicht, meine beste Freundin zu fragen, denn ich spürte, dass auch sie ein Auge auf ihn geworfen hatte. Und wenn zwei Freundinnen sich auf den gleichen Kerl eingeschossen haben, hören beste Freundschaften auf.
Internetrecherche, SMS, Facebook oder E-Mail gab es damals nicht, um mehr über den Angebeteten herausfinden und Kontakt mit ihm aufnehmen zu können. Geduld und Erfindungsreichtum war also gefragt. Für mich ungeduldigen Hibbel eine echte Qual. Aber eins war klar, ich war verknallt. Und zwar volle Lotte. Ich wollte diesen Kerl unbedingt haben. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als die Sache nun selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr auf glückliche Fügungen des Schicksals, und dass wir uns irgendwann mal in ein paar Monaten wieder zufällig übern Weg laufen würden, zu hoffen. Der Wille, meinen Traummann zu gewinnen, war größer, als die Angst vor einem Korb oder davor, mich völlig lächerlich zu machen.
Mittlerweile hatte ich doch herausgefunden, wo er wohnte und welche Telefonnummer er hatte. Dem guten alten Telefonbuch sei Dank. Ich wollte mich mit etwas besonderem bei ihm in Erinnerung rufen. Stundenlang saß ich also vor meinem Schreibtisch und krixelte vor mich hin, bis mir die zündende Idee kam. Ich malte ein Bildchen von einem Männchen, das gegen eine Tür rennt und schrieb darunter „Klasse Auftritt, ich will mehr davon!“. Ich unterschrieb mit meinem Namen, ohne aber meine Adresse oder Telefonnummer zu hinterlassen. Aus gutem Grund und mit Absicht: Den Moment, wo ich mit hochrotem Kopf und pochendem Herzen mitten im Flur unserer Wohnung, umgeben von neugieriger Familie am Telefon hing, wollte ich mir einfach nicht mehr geben. Dann schnappte ich mir meinen zusammengerollten Traummannanbahnungsbrief als auch meine kleine Schwester, sie war damals 10 Jahre alt, und wir gingen spazieren in Richtung Haus von Nummer fünf.
Unterwegs bereitete ich meine kleine Schwester auf eine wichtige Mission vor, die sie für ihre geliebte große Schwester dringend ausführen müsse und erklärte ihr, dass davon mein ganzes Lebensglück abhängig sei. Sie war natürlich etwas skeptisch, aber mein Eifer steckte sie an und es gelang mir, sie zu überzeugen, diese Mission für mich auszuführen. Ebenso half das Versprechen, sie zum Eisessen einzuladen, bei dem sie so viel Eis essen dürfe, bis ihr schlecht sei. Das zog. Kleine Schwestern sind aber auch herrlich leicht zu manipulieren. Gemeinsam suchten wir nun das Haus von Nummer fünf und dessen Eingang. Ich drückte meiner kleinen Schwester den gerollten Brief in die Hand, und schickte sie los. Sie hatte die Aufgabe, dort zu klingeln, und, wenn sich die Tür öffnet, den Brief mit den Worten: „Da. Vom Weihnachtsmann.“ zu übergeben. Für wen der Brief bestimmt war, stand ja drauf. Tapfer und mutig – an dieser Stelle noch mal Danke, kleines Schwesterchen! – machte sie sich auf den Weg. Ich versteckte mich hinter einer Hecke um die Ecke. Auf halbem Wege kehrte sie jedoch wieder um. Es erschien ihr dann doch zu blöde, und der Mut verließ sie. Verständlicherweise. Auch mit ihren 10 Jahren durchschaute sie die Idiotie und Albernheit meines Vorhabens. Sie fragte mich, warum ich das denn nicht selber machen
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