Liebe stand nicht auf dem Plan
nicht. Wuffwuff!
Sie fährt herum, hört ein entferntes Keuchen. Verdammt, hätte Maika bloß nicht auf den Glatzen mit Pitbulls rumgeritten. Da ist zwar keiner zu sehen, aber jetzt hat sie Schiss und steht nicht mehr länger rum wie eine somnambule Gazelle und stiert schwarze Löcher in die reale Welt, sondern setzt sich in Bewegung. Und das ist allerhöchste Zeit, denn hinter ihr heult ein Hund mit einem solchen Klagelaut auf, dass sie entsetzt schneller geht. Weit und breit ist kein Fußgänger unterwegs. Sie atmet nicht, dreht sich nicht um, aber ihre ganze Konzentration ist nach hinten gerichtet.
Das Nylonhalsband mit Spitzkopfnieten schnürt Pitbull Attila den Hals zu. Er jault nicht mehr. Er ist kurz vorm Ersticken. Die Krallen seiner Hinterläufe kratzen über den Gehweg, die vorderen rudern hilflos in der Luft. Sein Herrchen Ron hat dafür keinen Sinn. Stocksauer zerrt er sein dummes Vieh direkt am Halsband hinter sich her, weil es ihn verraten hat. Seit dem Supermarkt folgt er der kleinen Schlampe, raffiniert und unauffällig, bis der Blödmann Attila ihn mit seinem Gebell verraten hat. Jetzt ist Ron angepisst. Gleich wird ihm diese Clubtussi, diese halbe Portion, sagen, wo sie wohnt, und schnallen, dass sie im Club nix verloren hat. Dafür muss er ihr nicht nachschnüffeln. Das geht besser mit Druck
und ’ner Erfahrung, an der sie ’ne Weile rummachen kann, die sie nicht so schnell vergisst. So ist das. Zeit, dass Dennis schnallt, dass er ein stinknormaler Wichser ist – und nicht der Boss. Zu dritt reißen sie sich den Club unter den Nagel, zu dritt oder keiner. Er, Sandro UND Dennis werden die zukünftigen Bosse des geilsten Lap-Dance-Schuppens sein und nicht Dennis, dann lange nichts, und erst dann kommen seine zwei getreuen Helfer.
Schwere Schritte, das Kratzen von Krallen, und die Straße ist wie leer gefegt. Oder kommt da etwa ein Auto? Nora will sich nicht umdrehen. Vielleicht wird sie ja nicht verfolgt. Vielleicht führt nur einer seinen alten Hund Gassi … Vielleicht, aber falls nicht, sollten die Schritte schneller werden, wird sie rennen. Ihr Herz jagt. Sie schnappt nach Luft.
Die Schritte werden schneller, ein neuerliches Aufjaulen, dann nichts mehr. Was hat das zu bedeuten? Nora dreht sich um und stolpert rückwärts weiter. Da ist kein Mann und auch kein Hund. Aber ein Auto kommt auf sie zu, und Nora reißt den Arm hoch. Zweimal leuchten die Scheinwerfer kurz auf, dann fährt es vorbei.
Nora rennt los.
Attila zerrt Ron hinter sich her. Endlich Schluss mit dem beschissenen Versteckspiel. Die Schlampe ist reif für ihre Lektion, beschließt Ron, hängt sich an die Leine und lässt sich mit riesigen Schritten mitziehen.
In der Domschänke brennt kein Licht mehr, und bis zum Nobistor muss sie an einer plakatverklebten Bretterwand vorbei, hinter der ein verlassener, stockfinsterer Parkplatz liegt. Nora rennt so schnell sie kann Richtung Reeperbahn. Sie nimmt die Kurve in die Simon-von-Utrecht-Straße zu eng und knallt gegen eine Einkaufskarre voller Flaschen und vergammeltem Kram. Die Karre schwankt, Flaschen klirren, ein angelehnter Klappstuhl fällt
auf eine offene Tasche. Nora ringt nach Luft. Hinter der Karre wabert etwas in der Dunkelheit auf dem Boden herum. Beißender Gestank steigt ihr in die Nase und röchelndes Husten versetzt sie in Panik. Von dem Bewohner dieser Lagerstatt kommt keine Hilfe, und der keuchende Hund und die nahenden Schritte hinter ihr jagen sie blind über die dreispurige Straße.
Vom Millerntorplatz biegen Autos mit hoher Geschwindigkeit in die Simon-von-Utrecht ein, vorneweg ein Taxi. Nacht, freie Fahrt, grüne Ampel, der Fuß auf dem Gas und im Augenwinkel eine Göre, die auf sein Taxi zustürmt. Der Fahrer steigt auf die Bremse. Zentimeter vor seiner Stoßstange fliegt sie vorbei, und hinter ihm setzt ein Hupkonzert ein. Er hasst St. Pauli. Man muss immerzu höllisch aufpassen, dass einem kein Besoffener die Haube knutscht. Von rechts kommt schon wieder einer dahergerannt, einer mit Köter. Gesocks, wahrscheinlich hat sie ihm was geklaut.
Noras Herz hämmert wie verrückt. Ich lass mich die Rampe zur Tiefgarage runterfallen und verkriech mich irgendwo da unten unter einem Auto, denkt sie. Ihre Lungen brennen. Nur die Sehnsucht nach Menschen treibt sie weiter, egal wer, irgendwelche. Sie versteht das einfach nicht, nachts feiern sonst immer Horden von Junggesellen ihren Abschied, Hunderte sind in Bärenkostümen und Lockenwicklern unterwegs! Warum jetzt
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