Liebe stand nicht auf dem Plan
gehört dem Türken mit dem 10. Dan im Kickboxen. Jeder auf dem Kiez kennt ihn, und nur einer mit Hirnerweichung würde auf sich aufmerksam machen, wenn er knappe zehn Meter an einem vorbeigeht und man derjenige ist, den er sucht. Eine leere Dose schlägt vor Ron auf, und er krallt sich am Hundehalsband fest. Attila zittert, aber er gibt keinen Laut von sich. Die Dose scheppert über den Boden, und Ron spannt die Muskeln zum Sprung an. Bei dem Lärm kann er unmöglich unterscheiden, ob die Schritte näher kommen oder sich entfernen. Er lauscht angespannt, doch dann registriert er, dass die Flüche und Drohungen vorne an der Straße leiser werden.
Orhan lässt den Bus wieder an. »Wohin?«
»Erst zu Nora, und dann muss ich noch mal in den Club«, sagt Mehmet und zu Nora: »Jetzt erzähl mal, was ist passiert?«
Sie erzählt von dem Verfolger mit Hund, die sie beinah erwischt hätten.
Mehmet hält Nora im Arm und spürt einerseits deutlich die Bedrohung, die auf alle, die den Club lieben, zukommt, andrerseits
genießt er das Gefühl, Noras starker Retter zu sein. Die Fahrt ist viel zu schnell vorbei.
Nach Abkürzungen quer durch Hinterhöfe, über den Kinderspielplatz und in der Gegenrichtung durch Einbahnstraßen hat Keath seinen Verfolger abgeschüttelt, ohne zu ahnen, dass da überhaupt einer gewesen ist.
Dabei hat Dennis Conan extra bei seiner Schwester Nicole gelassen und sich für die Verfolgung der Vespa von seinem Kumpel dessen Chopper ausgeliehen. Leider ist die Maschine zu groß und zu laut gewesen, um damit unbemerkt durch stille Hinterhöfe zu brettern.
Für Sandro ist es eine Sache der Ehre, Maika nicht aus den Augen zu lassen. Schon allein seiner neuen, sauteuren weißen Jim Rickey - Turnschuhe wegen. Der Dreckwasserfleck wird nie mehr ganz rausgehen! Das kotzt ihn gewaltig an. Er folgt ihr mit großem Abstand, bis sie in einem Wohnblock verschwindet.
King macht dabei keinen Mucks. Zehn Minuten lang schreibt Sandro die achtundvierzig Namen vom Klingelbrett ab.
Manche kann er kaum lesen.
05
allein … allein
Unterm Türspion klebt ein Kreppband, darauf steht mit Filzer MERTEN gekritzelt. Maika zieht die Tür leise hinter sich zu. Es ist die einzige, vor der keine Schuhe auf und neben der verrutschten Fußmatte herumliegen. Dafür ist der Lack ums Schlüsselloch herum total zerkratzt, deutlich mehr als bei den sechs anderen im Flur. Maika weiß, was kommt. Sie hat einen Druck auf der Brust und holt Luft. Es sind ihre härtesten und einsamsten Stunden. Flaschen und Zerbrochenes wegräumen, Erbrochenes aufwischen. Anja, ihre Mutter, liegt bis zur Bewusstlosigkeit besoffen vorm Badezimmer. Maika wäscht ihr Gesicht und Hände, schleppt sie ins Bett und reißt die Fenster auf. Draußen tönt einsames Lallen durch die Nacht. Einer hält eine laute Rede an sich selbst und spricht in die Bierdose wie in ein Mikrofon. Dazwischen schnelle Schritte, Autotüren schlagen. Ein Motor heult auf. Bumm-bumm-bumm. Vier Boxen und Underseat Subwoofer pressen die Bässe durch die Ritzen des tiefer gelegten BMWs Z4 und lassen die Trommelfelle aller Schläfer im Umkreis von zweihundert Metern vibrieren. Seit Maika denken kann, will sie weg von hier, aber sie kann Anja unmöglich allein lassen. Sie nimmt ihren alten Kater Mao hoch und steckt ihre Nase in sein Fell.
Ich muss mich entscheiden, denkt sie. Ich muss wissen, wie lang ich das mitmachen will oder kann oder ob ich nicht mein Zeug packe, damit sie sich endlich zu Tode saufen kann. Es macht keinen Sinn, ihr dafür die nötigen Pullen Fusel aus dem Getränkemarkt ranzuschleppen. Das kann sie von mir nicht verlangen. Das ist nicht der Sinn von Liebe! Maika kneift die Augen zu und kämpft gegen Tränen an. Sie ist zur Welt gekommen, da war Anja ein halbes Jahr älter als sie jetzt. Mit Ausnahme der ersten vier Jahre, die Maika bei der Oma verbracht hat, hat sie sich immer um Anja, ihre Mutter, gekümmert. Ihre schwache, verantwortungslose, stinkende, alkoholsüchtige Mutter, die sich seit zwei Wochen wieder täglich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lässt.
Maika könnte schreien und lehnt ihre Stirn gegen die Fensterscheibe.
Wenn ich gehe, denkt Maika, fliegt sie morgen, spätestens übermorgen im Suff die Treppen runter und landet im Krankenhaus. Ich hab das Jugendamt am Hals, und sie wird zum Pflegefall. Niemand, absolut niemand außer mir wird sich jemals um sie kümmern. Oma spricht seit elf Jahren nicht mehr mit ihrer Tochter. Maik aus Neuglobsow,
Weitere Kostenlose Bücher