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Liebe stand nicht auf dem Plan

Liebe stand nicht auf dem Plan

Titel: Liebe stand nicht auf dem Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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gähnt. Keath ist abwesend und reagiert nicht. »Kinderkram« spricht niemand laut aus, aber Nora klingelt es in den Ohren, als würden sie es brüllen. Sie hat eine Antenne für unausgesprochene Botschaften. Klar und deutlich empfängt sie, was die Leute für sich behalten, ihre Hintergedanken, von denen sie annehmen, niemand kriege mit, was sie wirklich denken. Diese Fähigkeit hat Nora seit der Zeit, als sie unerwünscht war und damit gerechnet hat, keine DULDUNG mehr zu kriegen, sondern ausgewiesen und abgeschoben zu werden.

    Nora ist sauer. »Dauernd labert ihr, wenn wir achtzehn sind, ziehen wir was Eigenes auf, und dann rafft ihr’s nicht, wenn man euch eine bombensichere Geschäftsidee präsentiert, damit auch die nötige Kohle dafür rangeschafft werden kann.« Nora hat Herzklopfen und spricht extra leise, weil sie nicht will, dass die anderen merken, wie sehr sie sich aufregt.
    »Ich bin nicht die Zielgruppe. I’m overage, also sowieso raus. Ich dürfte mich selber nicht mal reinlassen.« Keath klopft ihr auf den Rücken.
    Für Nora ist das eine gewaltige Überdosis zu onkelhaft.
    »Aber was soll’s, wir haben doch’n Club«, gähnt er noch hinterher.
    Nora verschlägt es die Sprache. Haben? Putzen, schuften, Karten abreißen – ja. Aber haben? Wie kann man in so kurzer Zeit so viel Hirnmasse verlieren, wenn der Wachstumsprozess noch gar nicht abgeschlossen ist? Maika ist grad mal ein Jahr älter, Mehmet zwei und Keath drei knappe, schlappe Jährchen! Und dann spielen sie sich auf wie die Weisen Alten! Die Grauen Meister! Die Klugen Senioren! Die Uralten mit dem komplexen Wissen und ihren Urinstinkten! Die exklusive Kaste der Großen Erfahrung und Magier der Weisheit! Würg. Kotz.
    »Ich latsch heim. Wenn du mich fragst, Nora, ich glaub nicht, dass da wer kommt«, sagt Maika und zieht ihre Jacke über. Sie nimmt sich eine Essenstüte, stöhnt, »ist die schwer«, und schlendert aus dem Kültürverein.
    Der Türknall hallt.
    »Kommt niemand …?« Nora sieht mit ihren halb zugekniffenen Augen wie eine Shaolin-Kriegerin aus. »Denkt ihr, ihr seid die Einzigen mit einem halbwegs entwickelten Musikgeschmack?« Nora weiß, dass dem nicht so ist. Sonst würde sie ihre exzellenten Underground-Scheiben nicht mit so großem Erfolg verticken.
»Ich nicht. Ich kenn massenhaft andere, die auch mal vom Anfang bis zum Ende abfeiern wollen, und ich kann einfach nicht glauben, dass ihr keinen Schimmer habt, wer ihr seid oder gestern noch wart?«
    Ist aber so. Mehmet und Keath sehen aus, als hätten sie von gar nichts mehr eine Ahnung. Beide gähnen und haben ihre ansonsten so beweglichen Mäuler bis zum Anschlag starr aufgerissen. Anstatt Verständnis oder Interesse zeigen sie ihre Plomben aus Amalgam, Plastik, Keramik und sonstwas her. Keath hat Mandeln, Mehmet nicht.
    Es war klar, dass es spät werden würde, und Nora hat ihrer Mutter versprechen müssen, dass sie sich bis vor die Tür bringen lässt, sonst hätte sie nie so lange ausgehen dürfen. Aber jetzt will sie nur noch weg.
    »Warte, wir sind hier auch gleich fertig, dann fahr ich dich«, gähnt Keath.
    »Nicht nötig.« Nora verschwindet auf dem Klo. Nichts wie raus aus Yolandas Chinakleid und rein in die eigenen Klamotten aus dem Rucksack. Sie ist so wütend, dass sie die eingepackten Spezialitäten stehen lässt und einfach abhaut.
    01:41. Sonntagnacht. Autos rasen durch die Budapester Straße, und Nora schreckt zusammen. Direkt hinter ihr gellt eine Hupe. Kerle johlen. Nüchtern ist keiner mehr. Hinterm Hallenbad steht der Mond am Himmel. In Danzig wäre er schon weitergezogen. Wie weit? Kommt die Zeitgleichung nicht von der Differenz zwischen der mittleren Ortszeit und der wahren Ortszeit, MOZ und WOZ, und Abweichung der Erdumlaufbahn aufgrund der geneigten Erdachse und deshalb schiefen Ekliptik? Nora bremst abrupt und starrt ins Leere. Immer wenn in ihr heilloses Chaos tobt und zwischen ihren Ohren Tohuwabohu ausbricht, fragt sie sich, wie sich jemals irgendwer einbilden konnte, dass irgendwas
im Leben kalkulierbar und kontrollierbar ist. IN IHREM GANZEN LEBEN! HÄTTE SIE! NIEMALS! IHREN SOGENANNTEN FREUNDEN! ODER DOCH EHER KOLLEGEN! UND/ODER ARRO - GANTEN ARSCHLÖCHERN! SO EINE BEKNACKTE REAKTION ZU-GETRAUT. Raffen die nichts? Kapieren die nicht, was für Möglichkeiten in einem Underage-Club stecken, was das für die Zukunft bringen kann? Was ist los mit Keath? Wie blöd ist Maika? Tickt Mehmet noch richtig?
    Nora fühlt sich allein.
    Ist sie aber

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