Liebe stand nicht auf dem Plan
allein bleib übrig, denkt Keath. Und dann sieht er, wie Mehmets Kopf fast auf Noras Schulter liegt und sie ihn streichelt und seine Haare durcheinanderbringt. Er sieht sie in aller Deutlichkeit, jetzt, wo es dunkel wird und die beiden im warmen Licht direkt hinterm
Fenster vertraut und nah beieinandersitzen. Wie ein Bild. Keath spürt einen Stich im Herz.
»Zwölf Prozent«, verlangt Maika und hält prüfend ein Weinglas gegen das Licht.
Dali sitzt vor ihr am Tresen und handelt sie Prozent um Prozent runter.
»Nicht unverschämt werden«, sagt er gemütlich und trinkt das erste Astra seines Lebens. Kein Vergleich zur 550 Jahre alten Klosterbraukunst aus seiner Heimat, urteilt sein Gaumen. »Ich hab deine Außenstände beglichen. Immerhin zwohundertfünfundvierzig. «
»Aha, aha, aha, und jetzt denkst du, du hättest mich in der Hand«, sagt Maika friedlich.
Dali nickt. »Zehn Prozent. Basta.«
»Okay.« Sie zuckt die Achseln.
»Die erste Abgabe wird fällig, wenn die Schulden vollständig verrechnet sind.«
Maika reagiert nicht darauf und wischt die Spüle sauber. Auch recht, dann holt sie sich die Differenz in der Zwischenzeit eben aus der Kasse. Peu à peu. Merkt sowieso niemand. Es trifft keinen Armen. Leif hat genug Kohle, im Gegensatz zu ihr.
Dali dreht den Kopf, um zu sehen, wem sie zuwinkt, und sieht sich dem längsten und dünnsten Kerl seit Karl Valentin gegenüber.
»Hi, Lars. Lars ist unser Late Nite Barkeeper. Das ist Dali. Der neue Grafiker und Maler. Er wird hier ein paar Graffiti machen.«
Lars nickt ihm zu. Dali denkt, Maika hätte in früheren Zeiten gut einen Salon führen können, keinen Friseursalon, sondern einen zum freien Ideenaustausch im Stil der Pariser Salons. Sie hat einen absolut entspannten Profiplauderton drauf, egal wie hektisch
sich die Leute vorm Tresen rumschubsen. Lars dagegen wabert wie ein Flaschengeist herum. Schlag zehn löst er Maika ab.
Im großen Saal wird gejohlt, geschrien und gepfiffen. Montags gibt’s das Wunschkonzert, jeder kann seine Lieblingsscheibe mitbringen, und wenn er sich durchsetzt, werden ein paar Stücke davon gespielt. Im Moment legt Mehmet auf, aber auch er wird bald von Leifs Haus-Deejay abgelöst. Dali leert sein Bier und sieht zu, wie die Leute Mehmet ihre Platten unter die Nase halten. Er blödelt mit ihnen herum, deutlich besser gelaunt als vor drei Stunden. Aber plötzlich wird Dali von Maika mit festem Griff am Arm mitgezerrt.
»Das ist das Chefbüro.«
Ein altes Sofa, zwei noch ältere grünliche Cordsamt-Sessel, ein Schreibtisch mit Gläsern, Tassen und Papieren bedeckt, daneben ein Papierkorb – voll. Zwei Ikearegale aus dem Bereich »Möbel zur Aufbewahrung« – das GORM-System. Allerdings würde spätestens hier auch dem letzten Ikeakunden klar werden, dass Ordnungssysteme in der Konsumgesellschaft ebenso Illusion sind wie der Ruf nach Waffen für den Frieden, denkt Dali. Im linken Regal liegen Ordner, Kaffee, Stapel, Schachteln wild durcheinander, im rechten Regal Ersatzteile, Kabel und so weiter. Chaos total.
Maika zieht eine Schreibtischschublade auf. »Das ist dein Clubschlüssel. «
Tock, tock, tock, die Kugelschreiberspitze tippt auf das letzte freie Feld. Unter der Signatur der Lewandowskalingerin, da soll er unterschreiben.
Macht er. »Darfst du das, oder willst du mich auf diese Weise wieder loswerden?«
Maika drückt ihm den Schlüssel in die Hand. Dalis Schlüssel zum Glück. »Klar, das ist abgesprochen.«
Dali grinst breit. »Merci, für alles.«
»Mir ist lieber, du blechst, Bayer.« Maika grinst zurück, lässt sich auf das Sofa fallen und schwingt die Beine über die Armlehne. »Oh, ah, muss die Füße hochlegen. Ihr sagt da sicher Haxen dazu. Tut das gut.«
Dali nimmt das als Abschiedsgruß. Er schließt die Faust um den Schlüssel und fühlt sich benommen. Ist das eine Parallelwelt? Kann es sein, dass er gerade Schritt für Schritt in die Richtung seines Lebens tanzt, tapert, stolpert, von der er immer geträumt hat? In seiner Welt ist er Künstler, Maler und hat ein großes Atelier, und in dem Atelier hat er leidenschaftlichen Sex mit seinem Nacktmodell. Er hat sie quasi vor Augen, während er Maikas Griff am Arm spürt und sich vorstellt, wie sie sich auf das Sofa schmeißt. Sein Traummodell hat Ähnlichkeit mit Maika und auch mit Mary aus Harkirchen, aber sie sind es beide nicht. Obwohl ihn Maika durch ein Flammenmeer schickt, so lasziv und desinteressiert, wie sie tut. Dali verlässt das Büro,
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