Liebe stand nicht auf dem Plan
herzlich eingeladen.« Sie legt ihre Hand da hin, wo sie ihr Herz vermutet. Rechts.
»Danke, ein andermal.«
Prompt johlen und winken ihre fünf Freundinnen. Sie haben Spaß. Offensichtlich feiern sie schon seit Stunden. Die Grillkohle ist verglüht, und Keath entgeht nicht, dass sich um die Mädchen herum diverse Kerle, einzeln und in Gruppen, niedergelassen haben. Ein Rudel Wölfe. Wartend auf Zeichen von Willenlosigkeit durch Volltrunkenheit.
»Na, mach schon, komm, wir tun dir nichts!«, kreischen die Mädchen.
Eine klassisch versaute Frühsommernacht. Ein falscher Ton von ihm, und die Kerle fühlen sich auf den Plan gerufen.
Da hilft nur ein schweigender Abgang durch den Sand bis an die Mündung der Elbe, und von dort über die Nordsee weiter zum Atlantik und weitläufig um Afrika herum zum Indischen Ozean. Ja nicht schon vorm Pazifik schlappmachen, da soll’s endlich einsame Inseln geben. Denn mal abgesehen von Mehmets eindeutigen Interessen ist er, Keath, zu groß, Nora zu klein, und er ist pechschwarz. Keath wirft die Isomatte in den Sand
und sich drauf. Im Hafen krachen Container aufeinander, und Kräne heulen ihr Huihuihui.
Keaths Gedanken sind weit weg bei Lucky, seinem Vater. Seit fünf Jahren arbeitet er für Taqa, den nationalen Ölkonzern von Abu Dhabi. Er ist selten da, glücklicherweise, denn zwischen seinen Eltern hat es zu oft fiese Streitereien gegeben. Vor allem nach afrikanischen Trommelabenden, da hält Gabi, seine Mutter, besonders feurige und absolut unerträgliche Vorträge über »die Wurzeln und die afrikanische Identität«. Sie denkt, sie weiß alles über Identität. Sie kommt aus Kiel.
»Ey, Pfoten weg von den Weibern, Bimbo …«
Binnen 237 Millisekunden ist Keath auf den Beinen. Schneller als sein Gegenüber nach fünf Bierchen denken kann, steht er vor ihm, überragt ihn um Hauptes Länge und hält die Luft an. Kein Laut kommt über Keaths Lippen. Er überprüft blitzschnell, ob der Typ ihm mutterseelenallein den allerletzten Nerv töten will, oder ob da noch andere sind. Er ist allein.
Keath atmet nicht. Das fällt dem Provokateur auf, und er hält es für ein schlechtes Zeichen. Überhaupt steht er schon gar nicht mehr zu seinem Einfall, dem Affen seine natürliche Grenze zu zeigen. »Äh, Alter, nix für ungut …« Er verstummt, dreht sich um und geht auf weichem Sand ab.
Keath hat das alles satt.
»Es geht um Liebe und Sorge, nicht um Kontrolle!«
»Das hier ist nicht Harkirchen!«
Letzteres hat Dalis Vater gebrüllt. Seine Eltern sind sauer und haben keine Spur von schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen, weil sie Dali quasi zum Umzug in eine Stadt im Norden – fast am Polarkreis – gezwungen haben. Im Gegenteil. Es ist kurz nach elf, und was in seinem Kaff normal und üblich war,
wird jetzt von ihnen debattiert, als wäre er gerade noch einmal dem Tod von der Schippe gesprungen. Alarm! Sie wollen ihm seine Selbstständigkeit beschneiden und führen die Gefahren der Großstadt als Argument an. Er muss sie völlig anders anpacken, und kein Ton vom Club, den Leuten und seinem Job darf über seine Lippen kommen. Sie sind mittendrin, ihm reinzuquatschen.
»Aha«, sagt er also nur und sieht sie ernst an.
»Du hättest anrufen können!«
»Zumindest rangehen, Daniel. Das ist nicht zu viel verlangt.«
»Wir haben dich ausdrücklich um deinen Rückruf gebeten!«
»Deine Mutter ist fast durchgedreht vor Angst!«
Was heißt hier fast? Dali dreht ihnen den Rücken zu und sieht zu der früheren Kakaolagerhalle und jetzigen futuristischen Elbphilharmonie-Baustelle rüber.
»Dreh dich gefälligst um, wenn wir mit dir reden!«
Das war gebrüllt. Darauf hat Dali geduldig gewartet. Zu dem vorgetragenen Duett – Wir machen uns solche Sorgen um deine Sicherheit – kann er ja schlecht was sagen. Natürlich hätte er angerufen, wenn er … sie nicht total vergessen hätte, aber das ist kein Grund, autoritär zu werden.
Dali gibt sich Mühe, sie so lange erschüttert anzusehen, bis sie seinem Blick ausweichen.
»Ich weiß, dass du nicht mit uns mitkommen wolltest, aber du bist noch keine achtzehn und …«
Noch knappe elf Monate, und er ist es! Lächerliche 309 Tage! Noch zehnmal schlafen und es sind nur noch 299 Tage. Das muss ihnen doch klar sein, denkt Dali und hält die Klappe. Schweigen ist Gold.
»Wo warst du?«
»Auf’m Kiez.«
Dalis Mutter verknotet die Finger ineinander und sagt leise: »Ich wusste es …«
Bevor jetzt die ganz große Oper kommt,
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