Liebe stand nicht auf dem Plan
einer Weile dreht sich Keath auf die Seite, winkelt den Arm an, stützt seinen Kopf auf die Hand und betrachtet schweigend Dali.
»Wos is’n los?«, fragt der.
»Hörst du was?«
»Nein.« Dali hört nichts.
»Sie schreit nicht. Los, wag dich ans andere Scheißhaus. Jeder muss mal. Sei ein Mann.«
Bis Samstag geht’s ohne weitere Mutproben. Routine kehrt ein, die Teamarbeit klappt reibungslos. Leif lässt sich immer später blicken, dafür nur kurz. Und Mehmet ist wieder der Alte. Entspannt blödelt er mit Maika rum. Das Kampfputztempo hat sich durchgesetzt.
Bei fünf Tracks liegt die Bestzeit, das sind 27:52 Minuten, inklusive Bar, Bühne und Künstlergarderobe. Schlag 18:30 fliegen die Feudel in die Eimer. Dali beteiligt sich freiwillig und nimmt es als Fitnessmaßnahme. Ein Kilo hat er schon runter. Nora kann schulische Versäumnisse aufholen. Ihr Schulstress-Vermeidungssystem funktioniert nämlich nur, wenn sie Kontinuität wahrt, sonst läuft Arbeit auf. Ein fieser Auflauf, ungenießbar. Parallel produziert ihr Gefühlschaos schöpferischen Output. Liedtexte fliegen ihr um die Ohren. Zum Glück hat Yolanda einen festen Schlaf und sie nicht. Sie singt, wenn sie nicht schlafen kann.
Mehmet bastelt jede freie Minute an seinem Çay-Projekt. »Hast du wieder ein Lied für mich?«
Nora nimmt eine CD aus der Tasche. »Weiß nicht, ob was Brauchbares dabei ist«, murmelt sie und spürt Keaths Blick auf sich. Nicht rot werden, denkt sie, und hat das dringende Bedürfnis, sich zu verziehen.
»Hast du noch eine?«
Keaths Frage klingt beiläufig, ist aber zu direkt, um einfach übergangen zu werden. »Da ist bloß meine Stimme drauf und ne Menge Atmer und Schmatzer. Das kann man so nicht anhören. «
Mehmet kuckt sie komisch an. Nora fühlt sich komplett überfahren.
»Leg sie auf, Mehmet. Das kann Nora selber gar nicht beurteilen, und mich interessiert das auch.« Wie immer ist Maika pragmatisch und sehr sensibel.
Bevor der Ärger über sie in Nora von null auf hundert hochkocht, mischt sich auch noch Dali ein.
»Na, hör mal. Wenn sie nicht will, dann wird das nicht aufgelegt. « Damit macht der edle Ritter endgültig zum Thema, dass sie rumzickt.
»Macht, was ihr wollt. Ich geh raus und nehme die Getränkebestellung auf. Kein Kommentar hinterher. Ich will nichts hören.«
Sie schließt die Clubtür von außen ab und fühlt nichts mehr. Keine Peinlichkeit, keine Wut, nur ein dumpfes, ohnmächtiges Gefühl. Sollen die doch ablachen, sie kann eh nichts mehr machen. Jetzt ist es raus.
Die neugeborenen Kätzchen sind noch blind. Seit fünf Tagen füttert sie die Katzenmutter mit Trockenfutter. Sehen gelassen hat sie sich noch nicht, aber Wasser- und Fressschalen sind immer leer, wenn sie kommt. Gleich hinter dem garagenartigen Schuppen, der zwischen Club und einer Mauer eingeklemmt ist, wachsen Sträucher. Wie rechts neben dem Club auch. Nichts Gepflanztes, der Wind, der Zufall, das eine oder andere Korn im Vogelschiss haben das Dickicht angelegt. Von da hört Nora ein Geräusch. Hinter den Latten bewegt sich etwas. Vorsichtig, um den Spinnen nicht zu nahe zu kommen, lugt Nora ins Gestrüpp und sieht eine getigerte Katze. Sie sehen sich an. Glücksgefühl breitet sich in Nora aus. Das macht wenigstens Sinn, denkt sie und füllt Katzenfutter in die eine Schüssel und Wasser aus einer Evian-Flasche in die andere. »Das spendiert dir Leif«, flüstert sie der Katze zu.
Der U A-Getränkebedarf ist gestern geliefert worden, und der Platz zwischen der Vespa und den aufeinandergestapelten Getränkekisten ist minimal. Sie notiert, was für den Club nachbestellt werden muss. Fast ist es zu duster dafür. Von hinten hört sie leises Krachen. Die Katze frisst, und Nora rührt sich nicht. Ob die doofen Kollegen ihre Gesichtsmuskulaturen schon wieder im Griff haben? Sie beschließt zu warten, bis die Katze aufgefressen hat. Obwohl sich in der Nacht Keath auf heat reimt, war sie nicht so blöd, ihre allerpeinlichsten Lieder zu nehmen. Aber was, wenn Mehmet sagt, dass er nichts
brauchen kann, wenn ihm keins gefällt? Fünf Lieder hat sie aufgezeichnet, und … Wildes Geraschel reißt Nora aus ihrer nervösen Grübelei. Die Katze haut ab. Bevor Nora sich nach dem Grund fragen kann, versetzt lautes Bellen aus unmittelbarer Nähe sie in Panik, dann knurrt es laut. Die Lattenwand bebt. Krallen ratschen über Holz, und die Tür springt auf. Heißer Hundeatem schlägt ihr entgegen. Nora schreit auf und stolpert rückwärts.
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