Liebe stand nicht auf dem Plan
Weisheit letzter Schluss.«
Hochgezogene Augenbrauen im Rückspiegel. Nora sagt auf Polnisch: »Sie meint es bloß gut mit mir.«
Der Taxifahrer antwortet in ihrer Sprache: »Dann hat sie recht.«
Yolanda lauscht der Katzengeschichte. Die Sache mit dem Hund erwähnt Nora nicht. Für Mütter und mit einem Übermaß an Fantasie
ausgestattete Elvis-Fans ist das keine gute Geschichte. Also fällt sie unter die Zensur. Dafür schmückt Nora den Rest aus, bringt Spannung rein, lässt Kisten kippen und endet mit Komik. Eigentlich auch nicht so übel, den Samstagabend mit einem Eisbeutel auf dem Sofa zuzubringen, anstatt mit Freunden im Club.
Lewandowskalingerin. Respect to your iron spare ribs, lautet Dalis Kurznachricht.
Freu mich über deine lieder werd gesund. Bis morgen. Dein tee, textet Mehmet.
Relief, du versäumst nix. Elektronikschrot(t), tröstet Maika, die Punk bevorzugt.
»Ich brauch für drei Wochen eine Entschuldigung. Ich darf keinen Sport machen«, fällt Nora ein. Ein positiver Nebenaspekt. Lieber mit Schmerzen lachen, als Sport machen, ohne zu lachen. Dann verputzt sie Kartoffelchips wie ein Roboter. Alles was kleiner ist als ein 2-Euro-Stück und in Schüsseln oder Tüten zum Verzehr angeboten wird, wird von ihr pauschal verputzt, egal ob süß oder salzig, knackig oder klebrig, Nüsse oder Fruchtbärchen. Der Fernseher läuft. Yolanda kuckt. Nora denkt: Hätte ich nicht DREI Nachrichten gekriegt, würde ich jetzt nicht auf EINE warten. Sie überträgt ihre wachsende Unruhe aufs Sofa, die Fernbedienung, die Chipstüte, das Wohnzimmer, St. Pauli, Hamburg, die Welt und entwickelt mehr Nervosität, als Erde, Sonne und Weltall an radioaktiver Strahlung abgeben. SCHREIB MIR ENDLICH!, sendet sie in Gedanken über Radio- und Fernsehwellen, Handynetze und Polizeifunk. Auch über das offene WLAN-Netz des Nachbarn, den Föhn im Bad, die Waschmaschine im Keller, die Mikrowelle in der Küche, die 220-Volt-Leitungen in der Wand versucht sie sich mit dem EINEN zu vernetzen. Was wäre, wenn es das alles nicht gäbe?, denkt Nora und macht das Handy aus. Was wäre, wenn es mich nicht gäbe?
»Bleib doch liegen.«
»Ich muss mal«, ächzt Nora. Ihre Knochen schmerzen. Oder sind es die Muskeln oder die Nerven? Wahrscheinlich ist es psychisch. Auf den Zehenspitzen bugsiert Nora das Handy auf den Schlafzimmerschrank und schubst es mit den Fingerspitzen nach hinten. Dann geht sie aufs Klo. Das Leben ist nicht einfach. Man kann froh sein, wenn man mit einem blauen Auge davonkommt. Sie hat eins und ist trotzdem nicht froh.
Das Fernsehprogramm ist Schrot, Schrot, Schrot! Die Alternative, ein polnischer Heimatfilm auf DVD, treibt Nora endgültig ins Bett. Aber Laken zerwühlen und Kopfkissen herumschieben bringen keine Erleichterung, genauso wenig wie der Eisbeutel Abkühlung. Sie steht auf, schiebt ihren Stuhl vor den Schrank, angelt nach dem Handy und schaltet es wieder ein.
Schlaf gut, schreibt Keath.
Du auch, schreibt sie zurück, wird schlagartig ruhig und kann sich endlich in allen Einzelheiten der Erinnerung an ihre Rettung hingeben.
Von einer SMS um die Ruhe gebracht wird Dali. Komm sofort nach Hause! Schlag Mitternacht vibriert diese Aufforderung in seiner Hosentasche. Er verzieht sich ins leere Büro. Leif und Maika sind um elf verschwunden, und der Andrang lässt langsam nach. In Rudeln ziehen die Leute von einem Club in den nächsten, Club-Hopping. Keine Sekunde war Ruhe am Einlass, aber jetzt schafft es Keath auch allein. Völlig unverständlicherweise haben sich seine Eltern in die Vorstellung verrannt, dass für Stadt- und Landleben unterschiedliche Freiheitsbestimmungen geltend gemacht werden können. Dalis Klärungsversuche sind vor allem bei der Mutter wirkungslos geblieben, also stellt er sich seither stur und zieht seinen Stiefel als Desensibilisierungsprogramm
durch. Seine Eltern reagieren mit massiveren Forderungen. Er desensibilisiert in noch höheren Dosen. Eine Eskalation ist unausweichlich.
Dalis Schlafsack liegt schon zusammengerollt hinter dem Sofa in der Künstlergarderobe. Wenn Hunter eingepackt hat und der Club leer ist, wird er Lars auf der Rückseite der Bar verewigen und den Chef auf einer der beiden Stellwände. Hundertfünfzig blecht der pro Bild. Vielleicht hatte Maika recht damit, ihm den Zwischenfall im Schuppen als Kettenreaktion zu verkaufen, die ein Straßenköter auf der Jagd nach der Hinterhofkatze ausgelöst hat. Pitbull-Gang-Assoziationen hat sie tunlichst vermieden.
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