Liebe stand nicht auf dem Plan
Lehrertisch und übergibt Janina Joh die Hausarbeit. Plastiken aus acht Jahrhunderten von Daniel Moßbacher. Nicht nur Name des Verfassers und Datum sind überarbeitet, er hat neunzehn bezüglich gestrichen und den Inhalt auf sieben Seiten gekürzt, damit ist es seine Arbeit. Er schlägt den Skizzenblock mit Mensch und Blattwerk -Studien auf und will gehen.
»Erst die Köpfe.«
Auswickeln und vorsichtig auf ihr Häuschen ablegen. Zwischen John und Yoko legt er Obama ab. Nebeneinander, das wäre zu platt. Er hat ihnen Hälse geschnitzt, aber sie fallen um.
»Die sind noch frisch«, stellt Janina Joh fest.
»Zehn Minuten in Salzwasser köcheln, dann müssten sie durch sein.«
»Wann hast du sie gemacht?«
»Heute Nacht.«
Sie verwechselt Golda Meir mit Indira Gandhi, stellt das aber als ihren Irrtum klar, als er sie korrigiert. Alle anderen erkennt sie auf Anhieb.
»Zwei leben noch«, sagt Dali bescheiden, »sind aber eindeutig historisch.«
Sie nickt und blättert das Skizzenbuch durch. »Gute Arbeit, sehr schön. Du willst es wirklich wissen.« Das ist keine Frage, sie stellt es fest.
»Ja.« Kunst, Sex und Freiheit sind alles, was er will. Und um ganz genau zu sein: Den Sex will er mit ihr. Er ist nicht wahllos.
Zwischen der letzten Skizze und dem leeren Blatt steckt ein Ausdruck von ihrem überarbeiteten Portrait.
»Wieso hast du das gemacht?« Sie sieht ihn scharf an.
Er hat sie übermalt. An ihrer Stelle steht jetzt er an der Bar.
»Es hätte Ihnen peinlich sein können, weil es eine Bar-Szene ist und Schüler von Ihnen im Club sind.«
»Quatsch, peinlich wäre es gewesen, wenn du dir dadurch Vorteile versprochen hättest oder mich provozieren wolltest.«
»Ist es für Sie so okay?«
»Ja.« Sie hat sich klar ausgedrückt, hofft sie. Klar ist aber auch, dass sie sich ihrer Position nicht sicher ist. Sie steht als Lehrkraft vor einem ausgewachsenen Kerl und Schüler und ist verunsichert. Mit Schnöseln hat sie gerechnet, Dummköpfen, Ignoranten. Auf den Schulapparat hat sie sich vorbereitet, aber darauf nicht. Das ist total bescheuert. Und es juckt sie in den Fingern, es an ihm auszulassen. Sehr professionell.
Dali will nur noch weg. »Ist das alles?«
»Alle, die in den Kunst-LK wollen, kriegen eine Hausarbeit. Deine lese ich bis zum nächsten Mal und benote sie. Wenn dir die Note nicht passt, kannst du dir ein anderes Thema aussuchen. Nimmst du die Kartoffeln mit?«
»Äh, nein.« Sie kann die Köpfe haben.Vielleicht erzählen sie ihr was von seinen Qualen, und sie lässt sich erweichen.
»Wie hast du sie aufbewahrt?«
»Bis heute Morgen in Wasser.«
»Sind es Bio-Kartoffeln?«
Dali atmet auf. Sie wirkt entspannter. »Nein, ich hab sie nach Größe ausgesucht. Der Schwund beim Schnitzen ist gigantisch.«
»Mürbe oder festkochend?«
»Festkochend.« Er hat sich auch im rohen Zustand davon eine festere Struktur versprochen.
»Ich koch sie«, beschließt sie und steckt Dalis Hausarbeit in ihre Tasche.
»Frittieren würde sie zu Schrumpfköpfen machen«, sagt Dali, der sich lange überlegt hat, wie man sie konservieren könnte.
»Hm. Vielleicht mach ich Rote Beete, Blaukraut und grünen Salat zu den Kartoffeln.«
Dali haut es fast aus den Latschen. »Sie wollen sie … essen?«
»Natürlich. Wieso nicht?« Sie wartet auf eine Antwort.
»Beim Schnitzen hob i mit dene gred. Dös is … Kannibalismus. «
»Ach so.« Janina Joh macht die Unterhaltung mittlerweile Spaß. Sie mag seinen bayerischen Dialekt. »Sollten sie schreien, wenn ich reinbeiße, lass ich sie fallen. Äußern sie einen letzten Wunsch, werde ich ihn erfüllen. Okay?«
Dali überlegt fieberhaft. »Ich hätte einen. Könnten Sie von den Köpfen Fotos machen, wenn Sie sie kochen und anrichten? Dann kann ich damit weiterarbeiten.«
Sie lacht. »Mach ich. Gib mir deine E-Mail-Adresse.«
Schnell, bevor sie es sich anders überlegen kann, kritzelt Dali die Adresse auf die Rückseite des Bar-Bilds und denkt: Sie wird mir eine Mail mit Bildern von ihrem Essen schicken – wie geil ist das denn!
Kehrwieder heißt die Insel mit dem Teil der historischen Speicherstadt, in dem der Chef wohnt. Vom Parkplatz aus blickt Nora zu dem mit Grünspan bedeckten Kupferdach hoch. Sie weiß
von Mehmet, dass Leifs Wohnung direkt unterm Dach liegt. Vor fast einem Jahr hat er sie ihr gezeigt. Hinter dem Fenster sieht sie ihren Chef stehen. Die Glocken der Hauptkirche St. Katharinen schlagen sieben Mal. Sieben Schläge in die Magengrube.
Weitere Kostenlose Bücher