Liebe, Stolz und Leidenschaft
könnte mit ihr eine Weile im Wald bleiben. Dort, wo sie die Sorgen und Nöte der Menschen spüren konnten, die gestorben waren, bevor sie beide geboren worden waren. "Es gibt da ein paar Fälle, die mir auf die Nerven gehen. Die Maler bringen im Büro alles durcheinander. Ich muß Cassies Scheidung durchbringen. Ich muß mir darüber klarwerden, daß ich Onkel werde."
"Du spielst wieder einmal den Anwalt, MacKade, und versteckst dich hinter vielen Worten."
"Ich bin Anwalt."
"Okay, fangen wir damit an. Warte einen Moment. Bry, ab in .die Badewanne", rief sie ihrem Sohn zu.
"Ach, Mom..."
"Und zwar sofort, mein Freund. Ich komme gleich nach."
Der Junge rannte los, und vom Waldrand aus sah Savannah, wie im Haus ein Licht nach dem anderen anging, als Bryan nach oben eilte. Durch das offene Badezimmerfenster konnte sie ihn singen hören, wie immer schrecklich unmelodisch.
"Warum bist du Rechtsanwalt geworden?" fragte sie Jared.
Die Frage traf ihn völlig unvorbereitet. Er war mit den Gedanken ganz woanders gewesen. "Warum ich Rechtsanwalt geworden bin?" wiederholte er, um Zeit zu gewinnen.
"Versuch doch einmal, mit zwanzigtausend Worten oder weniger zu antworten."
"Weil ich gern Anwalt bin." Die erste Antwort, die ihm einfiel, war die beste. "Ich suche gern nach den richtigen Argumenten. Ich betrachte ein Problem von beiden Seiten und denke alles durch, bis ich die besten Argumente finde. Ich gewinne gern."
Er zuckte mit den Schultern. "Und weil ich will, daß Gerechtigkeit herrscht. Sicher, die Justiz ist nicht perfekt, aber wir brauchen sie. Ohne sie wären wir verloren."
"Du glaubst also an Recht und Gesetz, du argumentierst gern, und du gewinnst gern." Sie legte den Kopf auf die Seite. "Alle Gründe in einem einzigen Satz. Siehst du, wie einfach es geht?"
"Worauf willst d u hinaus?"
"Darauf, daß du die Dinge auch gern komplizierst." Sie streichelte seine Wange.
"Was komplizierst du jetzt gerade, Jared?"
"Nichts." Er nahm ihre Hand und küßte sie auf das Gelenk, dort, wo er ihren Puls an den Lippen fühlen konnte. "Ich kompliziere gar nichts. Es war schön, mit dir und Bryan auf der Farm zu sein. Und um den Küchentisch zu sitzen, während alle durcheinanderredeten."
"Und mit Brötchen zu werfen."
"Und mit Brötchen zu werfen. Es war schön, draußen auf dem Hof Baseball zu spielen und dabei zu hören, wie du und Regan und Cassie in der Küche mit dem Geschirr klappert."
"Typisch." Sie lächelte nachsichtig. "Als Antwort würdest du wahrscheinlich von geschlechtsspezifischer Rollenverteilung reden."
"Verklag mich doch." Er zog sie an sich. Und dann, als alles um sie herum still war, hörte er plötzlich den Kampf. Ein Fremder gegen einen anderen Fremden, unerbittlich, bis in alle Ewigkeit. Vielleicht hatte jeder von ihnen recht, auf seine Weise. "Spürst du es?" flüsterte er.
"Ja." Ich spüre die Angst, dachte sie und schloß die Augen. Die Verzweiflung. Und die langsam schwindende Hoffnung. Vielleicht spürte sie die Geister des Waldes deshalb so deutlich, weil sie diese Gefühle so gut kannte. "Hast du dich jemals gefragt, warum sie noch immer hier sind? Was sie vielleicht noch zu sagen oder zu tun haben?"
"Der Kampf ist noch nicht vorüber. Er wird es niemals sein."
Savannah schüttelte den Kopf. "Die Sehnsucht ist noch nicht vorüber. Die Sehnsucht nach dem Zuhause, der Heimat. Die Sehnsucht nach dem Frieden, nehme ich an.
Die wird nie aufhören. Aber hier kann ich sie stillen, hier finde ich endlich Frieden."
Als sie sich von Jared lösen wollte, hielt er sie fester. "Ich habe an der Küchentür gelauscht, als ihr drei Frauen euch unterhalten habt. Daß du ganz allein warst, als du Bryan bekamst, macht mich traurig. Ich habe es mir vorgestellt. Und wie du während der Schwangerschaft gelitten hast. Es muß schlimm gewesen sein."
"Morgendliche Übelkeit ist nicht ungewöhnlich, wenn man ein Kind bekommt."
"Sechzehn Jahre alt, mutterseelenallein und schwanger zu sein ist verdammt ungewöhnlich, und das sollte es auch sein", sagte er mit Nachdruck.
"Mich jetzt zu bedauern ist reine Zeitverschwendung, Jared. Das ist alles lange her."
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm ins Gesicht. "Aber das ist es nicht, was du fühlst, nicht wahr? Es ist nicht nur Mitleid."
"Ich weiß nicht, was ich fühle." Nichts frustrierte ihn so sehr wie das Unvermögen, in sich selbst die erhofften Antworten zu finden. "Ich habe Fragen, von denen ich noch nicht einmal weiß, wie ich sie stellen soll.
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