Liebe Unbekannte (German Edition)
hätte Karriere gemacht, die Zeiten hätten sich geändert, die Demokratie hätte Einzug in das Land gehalten, Bordelle wären eröffnet worden, und der junge namenlose Psychiater hätte ab und an in einem dieser vorbeigeschaut, später oder bereits während dieser Zeit hätte er sich eine junge Freundin zugelegt und Emma schließlich verlassen. Zum Glück kam es nicht dazu. Der junge namenlose Psychiater konnte jedoch nicht in die Zukunft blicken, er wusste lediglich, dass er jetzt um die Chance kämpfen musste, dass eines Tages alles so sein würde. Er müsse Emma jetzt um jeden Preis halten, da er nicht ohne sie leben könne. Und er kämpfte. Geschickt und aus ganzem Herzen, denn damals war er noch kein bisschen zynisch.
„Weshalb verlässt du ihn nicht, wenn du ihn nicht liebst?“, fragte Emőke Széles Emma in einer Ecke der Cafeteria, wohin sie sich mit ihr zurückgezogen hatte, um das Problem rasch zu lösen.
„Weil ich eine Gans bin“, antwortete Emma ruhig.
„Das weiß ich, Schwesterherz“, sagte Emőke, was bedeutete, dass sie Emma keineswegs für eine Gans hielt, und das Problem gerade darin bestand, dass Emma sich schon wieder als solche bezeichnete. „Ich weiß nur nicht, wen du jetzt bestrafst. Ihn oder dich selbst?“
„Ich bestrafe niemanden“, log Emma. „Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich jemanden bestrafe?“
„Warum provozierst du ihn dann?“
„Weil er nicht zu mir steht. Du hast es doch selbst gehört.“
„Er steht absolut zu dir. Schau ihn dir doch mal an.“
Der junge namenlose Psychiater stand, ruhig an den Türrahmen gelehnt, einige Schritte von ihnen entfernt. Er zeigte Stärke. Er kümmerte sich nicht um Emma. Er hielt eine Flasche Bier in der Hand. Er unterhielt sich ruhig mit dem verrückten Lővi, so gut man sich in dem Lärm, den die Band
Nimmermehr
mit dem Song
Verlorener Sohn
machte, unterhalten konnte. Dabei war der Anfang verhältnismäßig leise gewesen. Es war ein einfacher, sachlicher Song.
„Er prasst“, sagte Tabaki in sachlichem Ton. „Und prasst. Und prasst immer noch. Und prasst immer noch. Und prasst immer noch.“
Am Anfang erhob er die Stimme nicht. Später umso mehr. Jetzt war er bei der Mitte des Songs.
Emőke Széles beobachtete den jungen namenlosen Psychiater.
„Seine Taktik heißt Geduld“, sagte sie. „Er will zeigen, dass du ihn niemals auf die Palme bringst. Dass er alles aushält.“
„Und was ist so schlimm daran?“
„Er wird dich krank machen, Schwesterherz.“
„Wird er nicht.“
„Weil du es schon bist. Du machst ja nichts anderes, als ihn anzugreifen. Ihn zu erniedrigen.“
„Das ist seine Schuld“, sagte Emma verstockt. „Er wollte es so haben.“
Der junge namenlose Psychiater musste dafür büßen, dass er ein Auge auf Emma geworfen hatte, sie überredet hatte, zu ihm zu ziehen, eine gewöhnliche Freundin,
meine Freundin
, aus ihr gemacht hatte, und dafür konnte er nur büßen, indem sie gemeinsam eine Familie gründeten, Kinder bekamen, sich fürs Leben aneinander banden. Und dabei würde er für alles verantwortlich sein. Und das Schlimmste an allem war, dass am Ende er derjenige sein würde, der Emma verlassen würde, da man es nicht ein Leben lang aushalten kann, so gequält zu werden, und das würde dann Emmas Strafe sein. Und all das wusste Emma, oder spürte es zumindest.
„Weil er lediglich normal und gesund ist, hast du den Drang, ihm wehzutun.“
„Ich tue mir weh.“
„Wieso?“
„Weil ich eine Frau bin.“
„Verlass ihn jetzt sofort.“
„Zuerst soll er zu mir stehen.“
„Was meinst du damit?“
„Kinder, gemeinsames Leben, gemeinsames Grab.“
„Du hast gesagt, du liebst ihn nicht.“
„Das hast du gesagt.“
„Also liebst du ihn?“
„Reicht es nicht, dass ich Kinder von ihm will?“
„Dazu liebt man sich eigentlich auch.“
„Er soll bedingungslos zu mir stehen.“
„Das tut er. Er steht da mit seinem Bier und macht nichts anderes, als die ganze Zeit zu dir zu stehen.“
„Er schaut nicht einmal her!“
„Weil er ein hinterlistiger, routinierter Mistkerl ist. Das ist ein Match, Schwesterherz. Das du verlieren wirst. Er wird dich krank machen. Weißt du, was aus euch wird? Hast du solche alten Paare schon mal gesehen? Der Mann spielt den Nervenarzt, die Frau die Patientin. Und dieser hier ist zudem noch Nervenarzt!“
Emőke Széles grinste.
„Willst du so leben?“
„Ich kann es kaum erwarten.“
„Lass ihn sitzen und mach dich auf die Suche
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