Liebe und Tod in Havanna
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II
D IE W ELT DES A LTEN
»Ich liebe dieses Land, ich fühle mich
hier zu Hause, und wenn ein Mensch
sich an einem anderen Ort zu Hause fühlt,
als dem, an dem er geboren wurde,
ist es ihm bestimmt, dort zu leben.«
E RNEST H EMINGWAY
1
D AS HARTGEKOCHTE E I
Havanna, Januar
Tartarin von Tarascon hätte bei seiner Ankunft in Havanna kaum mehr Aufsehen erregt als Jos Vater, als dieser aus dem Zollbereich kam. Von Kopf bis Fuß als Forschungsreisender der Camel Trophy gekleidet, das Gesicht vollständig von einem weißen Hemingway-Bart verborgen, zog er an einer gigantischen Hoyo, die er in Orly gekauft hatte.
»Mir ist noch nie aufgefallen, dass deine Augen so blau sind, Papa!«
»Normal, Junge, du hast mir nie in die Augen geschaut. Und außerdem lässt der Bart den Blick intensiver wirken.«
Chabert, der Kulturattache, näherte sich dem Alten.
»Willkommen in Havanna! Ich hoffe, Sie werden einen fruchtbaren Kulturaufenthalt haben.«
»Das ist nicht nur ein Aufenthalt, junger Mann!«, entgegnete der Alte und drückte Chabert lange die Hand, als handele es sich bei ihm um einen Staatsminister. »Ich habe die Absicht, den Rest meines Lebens in Kuba zu verbringen!«
»Sie beginnen Ihre Vorstellungsreihe am Samstag, im Melia-Theater. Alle erwarten Sie. Die Regierung wird vollzählig erscheinen, mit Ausnahme von Fidel, der sich derzeit etwas müde fühlt. Der Saal verfügt über eine Klimaanlage, was hier selten ist. Wenn der Strom nicht ausfällt, wird es sicher ein Erfolg!«
»Wollen Sie damit sagen, dass es von der Klimaanlage abhängt, ob es ein Erfolg wird?«, fragte der Alte verärgert.
»Nein, aber sie trägt dazu bei. Für morgen haben wir zu Ihren Ehren eine Pressekonferenz organisiert. Na ja, von Pressekonferenz zu reden ist ein kleiner Euphemismus, Presse gibt er hier ja eigentlich nicht, außer der Granma, der offiziellen Zeitung. Aber mit ein paar Statisten, Studenten von der Uni und zwei, drei Kritikern wird die Illusion perfekt sein!«
––– ¤ –––
Wie Chabert angekündigt hatte, kam die gesamte Regierung zur Premiere des Alten. Im Parkett bildeten sie ein olivgrünes Viereck. Der Saal war voll, gefüllt mit einem aufmerksamen und artigen Publikum.
»Die Klimaanlage, ganz sicher«, brummte der Alte hinter den Kulissen.
»Aber nein, Papa!«, beruhigte ihn Jo, »sie kommen wegen Prévert.«
Der Alte machte sich vor Angst fast in die Hose. Es war Ewigkeiten her, dass er das letzte Mal allein auf einer Bühne gestanden hatte. Kein anderer da, auf den man die Verantwortung abwälzen könnte. Er musste sich also anstrengen.
»Los, Papa, du bist dran! Sie haben das Licht gedämpft.«
Der Alte zwang sich, mit sicherem Schritt auf die Bühne zu gehen. Er setzte sich auf den Hocker vor eine provisorisch zusammengezimmerte Bar, nahm ein hartgekochtes Ei aus einem Eierständer und warf es in die Luft.
»Schrecklich
kracht ein hartes Ei das man auf der Theke zerschlägt
schreckliches Krachen
wenn es einen hungrigen Mann erregt.«
Das erste Mal, dass er diese Vorstellung gegeben hatte, war vor dreißig Jahren gewesen, im Quartier Latin. Damals war er dünn gewesen und hatte langes Haar gehabt. Und er hatte Prévert voller Leidenschaft, voller Feuer rezitiert. Er hatte daran geglaubt.
Dort hatte er auch Jos Mutter kennengelernt. Eine blonde junge Frau im Hippielook. Er hatte seine Vorstellung mit dem Klassiker geschlossen:
»Ungeheuer und rot
Erscheint die Wintersonne
Über dem Grand Palais
Und verschwindet
Gleich ihr wird mein Herz verschwinden
Und all mein Blut wird
Dich suchen gehen
Mein Liebes
Mein Schönes
Und wird dich finden
Dort wo du bist.«
Und er hatte der blonden jungen Frau die Rose zugeworfen. Die berühmte Rose, die, zusammen mit dem hartgekochten Ei, die Requisiten des Stücks waren.
Er hatte die Rose ziellos ins Publikum geworfen, doch sie hatte es für Absicht gehalten und war zu ihm hinter die Bühne gekommen.
An diesem Abend in Havanna, in diesem großen amerikanischen Kino der fünfziger Jahre, das aussah, wie mit Erdbeer- und Vanillecreme dekoriert, in diesem Theater vor diesen tausend wohlwollenden Zuschauern, beschloss der Alte, die Rose nicht ziellos zu werfen. Um also »Barbara« zu rezitieren, stieg er in den Saal hinunter und bahnte sich einen Weg durch das Parkett. Aber es war schwierig, eine Wahl zu treffen, so viele hübsche Mädchen
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