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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérômel Savary
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gab es.
    Noch dazu musste er gleichzeitig seinen Text aufsagen. Er durfte nicht die Konzentration verlieren. Doch es kam, wie es kommen musste. Der Alte verlor den Faden. Es folgte ein langes, peinliches Schweigen: das berühmte Blackout.
    Verwirrt begann der Alte, den Rückzug anzutreten, zurück zur Bar, wo ein rettendes Textheft auf ihn wartete, als er auf einmal eine sanfte Stimme vernahm, die aus der ersten Reihe im Parkett herüberdrang und ihm zuflüsterte:
     
    »Erinnre jenes Tages dich
    Vergiss ihn nicht
    Ein Mann der unter einem Torweg stand
    Rief dich beim Namen
    Barbara«
     
    Es war eine sehr einfach gekleidete, junge schwarze Frau.
    Der Alte hatte sich nun mit großer theatralischer Geste vor sie gekniet und war fortgefahren:
     
    »Rief dich beim Namen
    Barbara
    Und du liefst im Regen
    Auf ihn zu.«
     
    Dann hatte er erneut geschwiegen, um die junge Frau fortfahren zu lassen.
    So beschlossen sie das Gedicht im Duo.
    Sie:
     
    »Triefend heiter hübsch verwegen«
     
    Er:
     
    »Daran denke Barbara
    Und sei mir nicht böse wenn ich du zu dir sage«
     
    Sie:
     
    »Zu allen die ich liebe sag ich du Selbst wenn ich sie nur einmal sah«
     
    Er:
    »Zu allen die sich lieben sag ich du Selbst wenn ich sie nicht kenne«
     
    Entzückt über dieses unerwartete Duo, applaudierte das Publikum bereits stürmisch, noch bevor die beiden das Gedicht beendet hatten.
    »Danke, Madame!«, sagte der Alte und verneigte sich galant. »Wie ich sehe, kennt man hier Prévert besser als ich selbst!« Und unter den Zurufen aus der Menge stieg er wieder auf die Bühne.
    Und so kam es, dass der Alte nach den Worten
     
    »Und all mein Blut wird
    Dich suchen gehen
    Mein Liebes
    Mein Schönes
    Und wird dich finden
    Dort wo du bist.«
     
    der jungen Frau die Rose zuwarf.

 
     
     
    2
     
    M ARIA
     
     
     
    Wenige Augenblicke später, als man auf die gelungene Vorstellung anstieß, war sie da, tauchte hinter Chabert und drei Reihen Dichtern in Uniform auf. Sie drückte die Rose an ihre Brust und lächelte, als hätte man ihr das wertvollste Geschenk auf Erden gemacht. Nachdem er die vom Protokoll vorgeschriebenen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, trat der Alte auf sie zu.
    »Danke, junge Dame, Sie haben mir das Leben gerettet.«
    »Keine Ursache. Ich kenne das Gedicht auswendig. Ich bringe es meinen Schülern bei.«
    »Sind Sie Französischlehrerin?«
    »Nein, einfach nur Grundschullehrerin, aber meine Kinder auf dem Land lieben Gedichte und Fremdsprachen. Das erlaubt ihnen zu träumen, für einen Moment der Wirklichkeit zu entfliehen. Wenn Sie mal bei uns in der Gegend vorbeikommen, werden Sie überrascht sein, wenn auf einmal ein Kinderchor inmitten von Tabakfeldern ein französisches Gedicht aufsagt.«
    Sie legte die Rose an ihre Lippen und lächelte erneut.
    »Jedenfalls, danke für die Rose. Es ist die erste, die ich in meinem Leben bekommen habe.«
    »Möchten Sie mit uns in der Botschaft essen?«, schlug der Alte mit samtweicher Stimme vor.
    Sie lachte. »Wie ich sehe, sind Sie einer von der schnellen Sorte! Nein, danke. Ich würde die Einladung liebend gern annehmen« — sie ließ die Zunge über ihre Lippen gleiten wie ein naschhaftes Kind –, »ein Essen in der Botschaft, an der Seite eines großen französischen Schauspielers ist wirklich verlockend. Aber wir müssen noch heute Abend mit dem Laster zurückfahren. Ich habe morgen Unterricht und der Weg ist weit, wir brauchen mindestens zwei Stunden.«
    »Sie sind nicht allein gekommen?«, fragte der Alte, bereits ein wenig eifersüchtig.
    Sie lachte erneut. »Nein, wir sind eine ganze Delegation: der Parteisekretär, zwei Lehrerkollegen, der Vorsitzende des Revolutionskomitees, der Arzt der Poliklinik. Und wir werden die ganze Fahrt über hinten auf der Ladefläche gemeinsam Prévert aufsagen. Kommen Sie mit uns, wenn Sie mir nicht glauben!«
    »Das war schön!«, rief der Alte begeistert, doch dann fügte er verärgert hinzu: »Aber das geht leider nicht. Ein Abendessen zu meinen Ehren, da muss ich wohl dabei sein.«
    »Schade für Sie. Ihnen entgeht was. Aber kommen Sie mich doch bald besuchen.«
    »Ja, ich werde kommen. Ganz bestimmt! Und wo ist Ihr Tabakfeld?«
    »Drei Kilometer vor La Palma, an der Straße, die von Pinar del Río nach La Palma fuhrt. Sie können es nicht verfehlen, es ist eine winzige Schule aus Holz, gleich am Straßenrand. Gut, dann werde ich mal, leben Sie wohl, betörender Poet, und ein schönes Essen!«
    Sie schwebte förmlich

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