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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérômel Savary
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alten Rum nennen, der drei oder sieben Jahre alt ist. Altem Rum sollte man nicht trauen. Das ist oft gepanschtes Zeug, dem man Karamell und Holzspäne beimischt, damit er eine schöne satte Farbe hat und schmeckt, als wäre er im Holzfass herangereift. Also, Jo, nehmen Sie den normalen weißen Rum.«
    »Ich merk’s mir!«, murmelte Jo, der nicht mehr zuhörte.
    »Gut, dann lass ich Sie mal allein. Ich werde versuchen, morgen am späten Vormittag vorbeizukommen. Wir haben Sie nicht so früh erwartet, Jo.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich werde mich ganz langsam akklimatisieren.«
    Ricardo verschwand in der Hotelhalle hinter einem bärtigen Koloss in Shorts, der eine halb so große Lolita umschlang und Jo, der nun endlich allein war, streckte seine Beine aus und trank einen großen Schluck Mojito.
    Tja, du Hemingway für Arme, sagte Jo zu sich selbst, heute Morgen noch warst du in Paris, die Wangen noch heiß von Annes Brüsten, und heute Abend schon bist du im »Jurassic Park der Utopien«, wie der Alte sagte. Um diese Uhrzeit musste sein Vater bereits seinen dritten Cognac intus haben. Oder vielmehr, da es dort drüben bereits sechs Uhr morgens war, pfiff er vermutlich gerade aus dem letzten Loch auf einer seiner Varieté-Partnerinnen, um sich zu beweisen, dass er noch jung war. Vielleicht sollte er ihm sagen, dass er nachkommen soll. Bestimmt wäre der Alte glücklich hier, mit all den kaffeebraunen Püppchen.
    Er trank einen weiteren Schluck Mojito. Die beiden Mädchen schlürften immer noch ihre Cola und hielten nach potenzieller Beute Ausschau. Sie waren groß und schön und glichen eher Topmodels als Nutten. Außerdem hatte Jo festgestellt, dass es neben den grellbunten Sexbomben mit ihren in der Poritze verschwindenden Hotpants eine andere Kategorie Mädchen gab, die im Gegensatz zu ersterer mehr auf Eleganz und enganliegende schwarze Kleider setzte. Seine beiden neuen Freundinnen gehörten zu dieser Art Mädchen. Und sie hatten Klasse.
    Puh, dieser Ricardo, wie der ihn vollquasselte. Jo war schon ganz schwindelig. Schlimmer als ein Schreiberling vom Guide du Routard.
    Er rief die Kellnerin, um zu zahlen. Während er ein Bündel Dollarscheine hervorholte, flehte seine Nachbarin, die seinen Schenkel gestreichelt hatte, ihn leise an: »No te vayas mi amor, nos van a echar!«
    »Estoy cansado niña, me voy a dormir.«
    Sie beugte sich über ihn und flüsterte: »Cual es tu número de cuarto?«
    Jo zog den Schlüssel aus seiner Tasche und sagte sich im gleichen Moment, dass er dabei war, eine Dummheit zu begehen.
    Also steckte er ihn sofort wieder ein und stand auf.
    »Dejanos por lo menos tu diario, así decimos que vuelvas.«
    Sie wollten, dass er seine Zeitung daließ, damit die Kellnerin glaubte, er würde wieder runterkommen. Er hielt ihnen die Liberation hin. »Hier, nehmt, Mädchen! Würde mich wundern, wenn ich in den nächsten Monaten überhaupt eine Zeitung lese, wird mir außerdem auch nicht besonders fehlen.«
    Frankreich, das er am Morgen verlassen hatte, schien ihm schon so weit weg.
    »Adiós mi amor!«, erwiderte das Mädchen und streckte ihm die Zunge raus.
    Jo bemerkte, dass die beiden Mädchen wunderbare Brüste hatten. Und er sagte sich, dass sie Schwestern sein mussten.
     
    ––– ¤ –––
     
    Er verharrte eine ganze Weile auf dem Balkon seines Zimmers. Die Wellen peitschten immer noch den Malecón. Havanna lag in Dunkelheit getaucht da.
    Man befand sich mitten im »periódo especial«. Diesen Ausdruck hatte Castro geprägt, der dem kubanischen Volk in einer langen Rede auf dem Platz der Revolution erklärt hatte, dass die Russen Schufte seien, weil sie sie im Stich gelassen hätten und dass man für ein paar Jahre den Gürtel enger schnallen müsse.
    Der Zusammenbruch des Ostblocks war ein schwerer Schlag für Kuba gewesen. Von einem Tag auf den anderen waren sämtliche lebensnotwendigen Produkte, die aus Osteuropa importiert worden waren, aus den Läden verschwunden. Und da Kuba seit Jahrzehnten nur noch Zucker und Tabak produzierte, mangelte es der Bevölkerung schnell an allem anderen.
    So hatte auch die Prostitution einen explosionsartigen Anstieg erlebt, als einzige Möglichkeit, an die begehrten Dollar zu kommen, mit denen man auf dem Schwarzmarkt Öl oder ein Hühnchen kaufen konnte. In die Enge getrieben durch das Handelsembargo und vor allem durch die Kapitulation seiner alten sozialistischen Partner, hatte Castro schweren Herzens die Schaffung eines dualen

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